Stollmanns Abgang beschädigt Schröder

■ Der Rückzug des Unternemers legt den Streit über die Wirtschaftspolitik in der SPD offen

Montag, Mittagszeit. Drei Sozialdemokraten sitzen im Bundestagsrestaurant. Sie diskutieren darüber, wie lange Jost Stollmann im Amt des Wirtschaftsministeriums bleiben wird. Ein halbes Jahr, ein Jahr, zwei Jahre? Ins Gespräch platzt ein Journalist: „Schon gehört? Stollmann gibt auf.“ Das war vielleicht ein Gelächter. Nicht wenige Genossen lachten an diesem Tag befreit auf. Aber manchem wird das Gelächter im Halse steckengeblieben sein.

Schon vor dem Eintreffen Stollmanns bei der Bundespressekonferenz lästerten die Beobachter. „Strong beginning“, sagte einer ironisch über den Einstand der rot- grünen Koalition. Ein anderer meinte: „In späteren Geschichtsbüchern wird einmal stehen: ,Schröders Regierungsstart stand von Beginn an unter keinem guten Stern.‘“ Und ein SPD-Mitarbeiter sagte frustriert: „Im Moment möchte ich nicht Parteivorsitzender sein.“ Der Abgang Stollmanns hat die Stimmung für die künftige Regierung gekippt. Schröder ist beschädigt.

Stollmanns Pressekonferenz macht es für die SPD noch schwerer. Diesmal dürfte es ihr gar nicht gefallen haben, daß Stollmann nach übereinstimmender Meinung einen souveränen Auftritt hinlegte, nicht nachkartete und sich loyal gegenüber Schröder verhielt. Überzeugend legte er die Gründe für seinen Rücktritt dar: Am Montag morgen sei er von Schröder über den neuen Zuschnitt des Wirtschaftsministeriums informiert worden. Durch die für ihn unakzeptable Beschneidung des Wirtschaftsministeriums könne er nicht mehr umsetzen, wofür er angetreten sei. Wann er zum ersten Mal erfahren habe, daß sein Einfluß beschränkt werde? „Heute morgen um 11 Uhr.“ Im Juni habe man sich definitiv geeinigt, daß er das Wirtschaftsministerium im alten Zuschnitt, erweitert um den Bereich Angewandte Forschung, übernehmen werde. Schröder steht damit als Wortbrüchiger da, ohne daß Stollmann selbst diesen Vorwurf erhoben hätte.

Mit einem Mal erscheint auch die Personalie Rudolf Scharping in einem neuen Licht. Schröder war zugute gehalten worden, den Streit um den Fraktionsvorsitz salomonisch gelöst zu haben, indem keiner der Streithähne den Job bekam. Auch der Vorgang um Stollmann, könnte, singulär betrachtet, zu dem Eindruck verleiten, Schröder habe sich als fixer Krisenmanager bewährt, weil er umgehend einen Nachfolger für Stollmann präsentieren konnte. Beide Entscheidungen zusammengenommen erwecken aber den Eindruck, daß es Schröder an Weitblick mangelt und er nicht in der Lage ist, Krisen schon im Keim zu ersticken. In beiden Fällen muß Schröder mit einem Ergebnis leben, das er nicht wollte. Mit Peter Struck ist eine Notlösung Fraktionschef, und mit Stollmann ist Schröder ein Symbol für die von ihm verkörperte neue Mitte von der Fahne gegangen.

Schädlich für Schröder ist auch, daß Stollmann das Augenmerk auf den Richtungsstreit in der SPD zwischen Lafontaine und Schröder lenkte, den beide Seiten energisch bestreiten. Zum ersten Mal hat es ein Insider, denn das war Stollmann zumindest während der Koalitionsverhandlungen, öffentlich ausgesprochen: „Es ist klar, daß es bei der SPD unterschiedliche Politikkonzepte gibt.“ Und es bestand kein Zweifel daran, daß Stollmann SPD-Chef Oskar Lafontaine und den künftigen Kanzler Gerhard Schröder als Vertreter beider Lager meinte. Stollmann bezog sich auf seine Erfahrungen bei den Koalitionsverhandlungen, wenn er sagte: „Es gibt Modernisierungs- und Erneuerungstendenzen in der SPD. Lesen Sie das Buch von Bodo Hombach. Das spricht mir aus der Seele.“ Wer denn noch modern sei in der SPD, außer Schröder und Hombach, wurde Stollmann gefragt. Stollmann stutzte und nannte dann den Schröder- Vertrauten und künftigen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Alfred Tacke, sowie den Wirtschaftsexperten Siegmar Mosdorf. Nach einer weiteren Pause zählte er auch den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement dazu. Peinlichst vermied er, sich über Lafontaine abfällig zu äußern.

Stollmann ließ keinen Zweifel daran, daß er die „Modernisierer“ um Schröder im Richtungsstreit als unterlegen betrachtet. Es stimme ihn sorgenvoll, wenn er die mangelnde Ausgewogenheit zwischen Angebots- und Nachfragepolitik sehe. Und: „Es werden nicht die Großkonzerne sein, die Arbeitsplätze schaffen, weil sie der Globalisierung ausgesetzt“ seien. Sodann führte er ein paar Beispiele aus der Steuerreform an, die seiner Meinung nach den Mittelstand „katastrophal“ belasten. Schröder hat es sich offenbar zu Herzen genommen. Im Fernsehen sagte er: „Ich kann mir durchaus vorstellen, für den Mittelstand nachzubessern.“ Markus Franz, Bonn