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„Wir gehören nur zum Mobiliar“

Zwei Jahre lang hat Annelie Lotriet für Südafrikas Wahrheitskommission simultan übersetzt. Ihre Muttersprache ist Afrikaans, die Sprache der Täter  ■ Aus Johannesburg Kordula Doerfler

Die Frauenstimme tönt weich und angenehm dunkel durch den Saal. „Der Feind war die kommunistische Allianz aus ANC und Kommunistischer Partei. Wir waren in einem totalen Krieg“, sagt die blonde Frau leicht atemlos. „Die Nationale Partei hat uns verraten“, geht es weiter. „Wir wollten verhindern, daß in diesem Land sogenannte demokratische Wahlen stattfanden.“ Annelie Lotriet holt kurz Luft. Konzentriert bis zum äußersten, sitzt sie in einer kleinen Glaskabine, ein Glas Wasser neben sich, Kopfhörer auf.

Auch im Saal tragen fast alle Zuschauer Kopfhörer. Sie folgen der Anhörung vor der Wahrheitskommission, vermittelt über eine Simultanübersetzung. Afrikaans, die Sprache der meisten Täter, ist zumindest in Johannesburg nicht sehr gebräuchlich. Die diplomierte und promovierte Dolmetscherin Lotriet leiht den Tätern ihre schöne Stimme. In simultaner Übersetzung und in Ich-Form gibt sie wieder, was die drei rechtsextremen jungen Männer vorzutragen haben, um ihre Haut zu retten.

Der 25jährige Okkert de Meillon versucht zu erklären, was ihn am 23. April 1994 dazu bewog, einen Wächter zu erschießen, um Schußwaffen zu stehlen. Das war wenige Tage vor Südafrikas ersten freien Wahlen. Weiße Rechte wollten sie mit Attentaten und Bombenanschlägen verhindern. De Meillon und zwei Mittäter waren Mitglieder der rechtsextremen Burischen Widerstandsbewegung. Selbst die gefürchteten Schläger der Afrikaaner Weerstandsbeweging (AWB) von Eugene Terreblanche waren ihnen nicht radikal genug. „Die AWB hat immer nur über Krieg geredet, wir aber wollten Krieg“, sagt de Meillon über Lotriet.

Täter und Übersetzerin kommen aus dem gleichen kulturellen Milieu, sind weiße Buren, also Nachfahren der ersten holländischen Siedler am Kap. Dennoch trennen sie Welten. De Meillons Eltern könnten einem Gemälde aus dem 19. Jahrhundert entsprungen sein und wirken in dem Saal in Johannesburg deplaziert. Der Vater mit langem weißen Haar und wallendem Bart fühlt sich unwohl im Stadtanzug, die Mutter, mit Dutt und dunkelblauem Kleid mit Spitzenkragen, nestelt nervös an ihrer Kunstleder-Handtasche herum. Fast möchte man Mitleid mit ihnen haben. Nie werden Fossile wie sie begreifen, daß der Traum von der weißen Vorherrschaft am Kap ausgeträumt ist.

Lotriet liebt zwar ebenfalls ihre Muttersprache Afrikaans, eine stark vereinfachte Abart des Holländischen. Mit den Hinterwäldlern vom „platteland“ verbindet sie ansonsten wenig. Schwarzer Blazer, Perlenkette, diskretes Make-up sind die Attribute erfolgreicher Frauen überall auf der Welt. Knapp 15 Prozent aller Südafrikaner sprechen Afrikaans noch als erste Sprache, darunter nicht nur Weiße, sondern auch viele sogenannte Mischlinge. Nach Zulu und Xhosa ist das die drittgrößte Sprachgruppe, weit vor Englisch, das längst zur Lingua franca geworden ist. Ihre vier Söhne schickt Lotriet deshalb auf eine englische Schule. Der Vergangenheit trauert sie nicht nach. „Solange wir unsere Sprache und Kultur behalten können, habe ich kein Problem mit der ANC-Regierung.“

Von Anfang an war die 38jährige am schmerzhaften Prozeß der Wahrheitsfindung beteiligt. Kurz bevor die ersten öffentlichen Anhörungen stattfanden, erhielt ihr Institut an der Universität Bloemfontein den Auftrag, die sprachliche Seite zu koordinieren und Dolmetscher für diese sehr spezielle Aufgabe auszubilden. Rund 35 Übersetzer sorgten seither in den Anhörungen dafür, daß die breite Masse der Südafrikaner überhaupt in der Lage war zuzuhören.

In einem Land, das elf offizielle Sprachen hat, war die Wahrheitskommission auch eine sprachliche Herausforderung. Zwar soll im Parlament im Kapstadt theoretisch auch ein jeder in seiner Sprache sprechen können, in der Praxis sieht das aber anders aus. In den öffentlichen Anhörungen der Kommission sollten vor allem die schwarzen Opfer die Gelegenheit erhalten, erstmals ihre Geschichten in ihrer jeweiligen Muttersprache zu erzählen. Keine Anhörung, in der nicht in den kleinen Kabinen jeweils zwei Simultandolmetscher saßen und bei der nicht der Großteil des Publikums und der Kommissionsmitglieder Kopfhörer trugen. Übersetzt wurde je nach Region und Bedarf: von Xhosa ins Englische, von Zulu in Xhosa und zurück, von Afrikaans ins Englische und umgekehrt.

„Am Anfang wußten wir überhaupt nicht, was auf uns zukam“, gibt Lotriet freimütig zu. Damit waren die Dolmetscher in guter Gesellschaft, denn auch die Kommissionsmitglieder hatten nur eine vage Vorstellung über die Anhörungen. Klar war nur: „Wir würden Teil der Geschichte sein.“

Jetzt, nach zwei Jahren, hat sich auch auf bei den Übersetzern Routine etabliert. Dabei arbeiten sie unter großem Streß. Jeweils 20 Minuten lang übersetzen sie Wort für Wort, Satz für Satz, Widerspruch für Widerspruch. Dann wird gewechselt. Vor allem bei den Amnestieanhörungen kommt es sehr genau darauf an, wer was sagt. Denn ein volles Geständnis ist eine der Bedingungen, um amnestiert werden zu können. Schon kleinste Nuancen in den Aussagen der Antragsteller und Zeugen sind entscheidend. „Am Anfang war ich oft abends nicht mehr in der Lage, einen normalen Satz zu formulieren“, sagt Lotriet.

Dazu kommt der Inhalt dessen, was sie übersetzt. Wenn sie heute zurückblickt, waren es nicht einmal die spektakulären großen Verbrechen des Regimes, die sie aus der Fassung brachten. Viel eindringlicher für sie waren die Grausamkeiten des Alltags, unter denen die schwarze Mehrheit gelitten hat, die banale Omnipräsenz von Verfolgung und Terror. Die Geschichte eines zehnjährigen Mädchens zum Beispiel, das 1986 in einem Township bei Johannesburg erschossen wurde, vermutlich von der Polizei. „Zu sehen, wie traumatisiert die Eltern heute noch sind, war eine schreckliche Erfahrung.“

Alpträume hat sie allerdings nie gehabt. Und auch psychologische Behandlung wie manche ihrer Kollegen hat sie nicht gebraucht. Lotriet ist kein Typ, der sich leicht Emotionen gestattet. Geholfen hat ihr vor allem, sich abends mit den Kollegen auszutauschen. Wie die Kommissionsmitglieder auch, waren die Übersetzer ständig unterwegs und weit weg von zu Hause. Da traf man sich zwangsläufig abends an der Hotelbar.

Dennoch hat die Arbeit für die Kommission Spuren hinterlassen. „Wenn ich heute beispielsweise im Fernsehen einen Film über den Befreiungskampf sehe, passiert es mir, daß ich Tränen ausbreche.“ Das wäre früher undenkbar gewesen, denn auch mit den Freiheitskämpfern, die heute Südafrika regieren, verbindet sie nicht viel. Lotriet ist in der Millionenstadt Johannesburg aufgewachsen, in einer burischen Familie, die sie selbst als politisch liberal charakterisiert. Sie zögert einen Moment und lacht dann: „Mit gewissen Einschränkungen natürlich.“ Man wußte etwas, aber besser nicht allzuviel.

Mit den rechten Spinnern, die Südafrika in die vermeintliche Freiheit bomben wollten, verbindet sie kaum etwas außer der Sprache. Während die Rechte die Kommission als „Hexenjagd“ geißelte, war sie für Lotriet der einzige Weg, den Südafrika gehen konnte. „Es ist immer besser, die Menschen reden miteinander, als sich zu bekämpfen.“ Anderen ihre Stimme zu leihen, mit deren Ansichten sie nicht übereinstimmt, ist für sie nicht ungewöhnlich. „Das ist Teil unseres Berufes.“ Normalerweise übersetzt sie neben ihrer Forschungsarbeit im Provinzparlament in Bloemfontein.

Okkert de Meillon, der Antragsteller, verwickelt sich im Kreuzverhör in Widersprüche. Einem geheimnisvollen anonymen Anruf folgend, wollte er an jenem Tag an einem Armeestützpunkt Waffen stehlen, für den Krieg, auf den sich die extreme Rechte vorbereitete. Was schiefgehen konnte, ging schief. Ein weißer Wachposten mußte erschossen werden, um ein einziges Gewehr zu erbeuten. Das warfen seine Komplizen hinterher aus Angst weg. Jetzt sitzen alle drei wegen Mordes im Gefängnis.

Bis heute weiß de Meillon nicht, wer der Anrufer war. Sein „Kommandant“ war es nicht, der vergnügte sich an jenem Tag beim Angeln. Eine unbekannte Stimme sagte am Telefon: „Die Zeit ist reif.“ Das begriff er als Befehl zum Handeln. Die Eltern des Opfers, ebenfalls Buren, haben den Inhaftierten längst vergeben und beten für sie. De Meillon, ein blasses Milchgesicht, entfaltet das Panoptikum eines fanatischen, konspirativen Weltbildes, das zu grotesk ist, um wahr sein zu können. Andere extreme Weiße waren leider erfolgreicher als er und seine Kumpane, Dutzende Unschuldiger starben noch kurz vor den Wahlen. Heute bedauert er das alles, sagt de Meillon über Lotriet. Glaubhaft ist das nicht, denn zugleich gibt er zu, daß er seinen rechten Überzeugungen nicht abgeschworen hat. Für die Amnestierung ist es allerdings irrelevant, ob die Täter Reue zeigen. Daß de Meillon amnestiert wird, steht indessen außer Frage. Zweifellos war die Tat politisch motiviert. Ist das gerecht?

Lotriet hält sich mit ihrer Meinung zurück. Die Dolmetscher waren zwar immer dabei, ihre persönlichen Ansichten durften sie aber nicht äußern. Das hätte ihre Professionalität beschädigt. „Wir gehören doch nur zum Mobiliar“, lacht sie. Dafür schreibt sie ein Buch über die Wahrheitskommission und das Problem der Übersetzungen – im Vielvölkerstaat Südafrika eine wissenschaftliche Pionierleistung.

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