: Verkauf ohne Wertgutachten
■ Im parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Stadtgüteraffäre zeigte sich, daß der Bauverwaltung zur Ermittlung des Grundstückswerts nur Fragmente eines Vertrags vorlagen
Im parlamentarischen Untersuchungsausschuß, der sich mit der Aufklärung der Grundstücksaffäre um das Stadtgut Stolpe befaßt, stellte sich gestern heraus, daß das Wertgutachten der Senatsbauverwaltung auf einer ausgesprochen dürftigen Basis erstellt wurde. Der Vertrag mit dem Pferdezüchter Alwin Schockemöhle war im Herbst 1997 geplatzt, nachdem der zu geringe Kaufpreis von 2,2 Millionen Mark öffentlich geworden war. Die Bauverwaltung hatte den Wert zunächst auf 4,3 Millionen geschätzt, später aber auf 10,6 Millionen Mark korrigiert.
Mit der gestrigen Zeugenvernehmung konnte geklärt werden, wie es zu dieser erheblichen Differenz kommen konnte. Wie der zuständige Referatsleiter der Bauverwaltung, Dietrich Ribbert, erläuterte, hatte die Finanzverwaltung der Bauverwaltung für das Wertgutachen nur Fragmente des Vertrags zur Verfügung gestellt. „Das ist völlig unüblich“, erklärte Ribbert. Das daraus resultierende Risiko müsse die Finanzverwaltung tragen, wies er jede Verantwortung von sich.
Die Finanzverwaltung schloß am 28. August 1997 den notariellen Kaufvertrag ab, noch bevor das Gutachten der Bauverwaltung vorlag. „Der Vertrag hätte von der Finanzverwaltung ohne Wertermittlung nicht abgeschlossen werden dürfen“, bewertete die grüne Abgeordnete Michaele Schreyer den Vorgang.
In der Bauverwaltung war die Anfrage der Finanzverwaltung zu einer Wertermittlung im Sommer 1997 unbearbeitet liegengeblieben. Nach dem Vertragsabschluß drängte die Finanzverwaltung am 3. September wegen des Gutachtens. Da der beurkundete Kaufvertrag noch nicht vorlag, mußte die Bauverwaltung die Schätzung des Grundstückswertes auf der Basis des Vertragsentwurfs erstellen, der durch wesentliche Änderungen im Kaufvertrag aber längst überholt war. So waren im Kaufvertrag plötzlich 11 Hektar Bauland vorgesehen. Daher fiel bei einer überarbeiteten Schätzung der Grundstückswert mit 10,6 Millionen Mark deutlich höher aus.
In einer Besprechung mit Bau- und Finanzverwaltung hatte Schockemöhles Notar Hartmut Fromm erklärt, es handle sich bei den 11 Hektar Bauland um einen Irrtum. Gemeint sei, daß irgendwo auf diesen 11 Hektar die Stallungen und Wohngebäude für Mitarbeiter errichtet werden sollten. An dieser Darstellung äußerte Schreyer allerdings große Zweifel. Fromm sei ein gewiefter Baurechtsexperte. Maßgeblich seien die im Vertrag genannten 11 Hektar Bauland. In der nächsten Sitzung wird Finanzstaatssekretär Peter Kurth (CDU) angehört. Dorothee Winden
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