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Königs Rumpel- und Pumpeltheater

■ „Furor“ zum 20. Jahrhundert oder „Haltestelle Machtergreifung“: Nazi-Revue in einer Tram

Ist man hinterher schlauer? Wurde man erbaut? Oder im Innersten getroffen? Dreimal nein. Aber das Feierabendbierchen will einem nicht mehr schmecken. Und das Autoradio bleibt aus. Was war? Man ist Straßenbahn gefahren.

„Furor – Nächste Haltestelle: Machtergreifung“ heißt der zweite Teil des großen Bremer Theaterprojekts „Furor – das Zwanzigste Jahrhundert“. Verantwortlich für das Spektakel mit zwanzig Schauspielern sind das Kulturzentrum Lagerhaus und der Bremer Regisseur Hans König („Bremer Höllen“, „Große Freiheit Vegesack“). Nachdem sich der erste Teil mit dem Zeitraum 1900 bis Ende Erster Weltkrieg befaßte, geht es jetzt um 1918 bis 1938. Um eine Zeit also, die ebenfalls nur sehr alte Leute noch erlebt haben. Alle anderen neigen dazu, sich die Zeit mithilfe von Klischees zu erklären. So sie überhaupt dazu neigen, sich mit dieser Zeit zu beschäftigen.

Eine Straßenbahn als Bühne also. Und ein unwirtlicher Platz, die Wendeschleife beim Parkhotel. Novemberwind. Fackeln. Musik. Leute. Teils unsereiner, teils Schauspieler. In 20er-Jahre-Klamotten gesteckt, in Sackleinen gewickelt oder auch in blutbeschmierte Verbände. Zwei Schaffner. Ein Gendarm. Verhältnis wir zu denen: zwei zu eins. Sonst kein Verhältnis. Noch nicht.

Eine wirkt kämpferisch und schreit: „Alle Macht den Räten!“ Da tobt die Blutlappen-Truppe herbei und macht sie mundtot. Einer brüllt von Juda und germanischen Mythen. Ein Dichter, Typ geistiger Brandstifter, geifert die Worte zur Tat: „Deutschland muß endlich erfunden werden. Was ist kerndeutsch? Es gibt nur ein Glück: das fließende Blut!“ Es fängt an zu regnen. Wir sind froh, daß wir in die Straßenbahn dürfen. Nur „Sonderfahrt“ klingt plötzlich gar nicht mehr harmlos.

Drinnen, im Großraumwagen, sitzen wir und die. Und solche, von denen man nicht genau weiß. Die Bahn fährt los, man ist drinnen, es gibt kein Entrinnen. Drinnen ist die Welt. Draußen ist Bremen. Aber immer weniger, denn die Scheiben beschlagen. Die Welt besteht aus gewalttätigen Männern, die durch den Waggon toben, und Frauen, die quatschen. Man hört Wortfetzen wie „Purim“ und „der Kaiser mußte gehen“ und „Wir sind bereit.“

Das war die Rote. Die wird immer mal wieder zusammengeschlagen. Zum Beispiel von einem (klar: sadistischen) Polizisten. Dazu gibt es viel Musik von den in Sackleinen Gewickelten. Eine Haltestelle heißt „Haltestelle Versailler Verträge“. Da springen von draußen die Blutlappentypen herbei und hämmern gegen die Fenster, daß man froh ist, nicht sein Kind mitgenommen zu haben. Die Kerle hauen Flugblätter an die Scheiben. Und langsam wird auch dem Dümmsten klar: Nazis. Wahrscheinlich SA nach Saalschlacht.

Irgendwann kommen die Nazis rein und verdreschen die Rote, das kommt einem bekannt vor, man greift nicht ein, wie man nie eingreift. Wir und diese Frauen da sind die schweigende Mehrheit. Alles nur zu bekannt. Der geistige Brandstifter schreit uns Nietzsche und Jünger und Goethe und den Dadaisten Raoul Hausmann und Himmler und Marika Röck in die Ohren, rauf und runter (aber das wissen wir nur aus dem Programmheft).

Eigentlich ist der Dichter ein Schnösel, der dem Nazis-Proll gefallen will. Irgendwann, bei Haltestelle „Nürnberger Gesetze“, kriegen die beiden jüdischen Frauen eine Pappnase aufgesetzt. Alle anderen Frauen aber werden saubere Antisemitinnen und BDM-Mädels und schmeißen sich an die fiesen Nazis ran. Wir verstehen: Was wären die Nazis ohne die Frauen gewesen?

Einmal werden alle Zuschauer mit einem Blutlappen zugedeckt, und dann stöhnen die Frauen lustvoll. Sonst bleiben wir ungeschoren.

Am Ende, nach rund einer Stunde, heißt es „Reichskristallnacht, Endstation.“ Die Zwangsgemeinschaft löst sich auf. An der Endhaltestelle ist ein Haufen Holz aufgeschichtet. Alle 20 Schauspieler stehen zusammen und singen traurige jiddische Lieder. 's brennt, Brieder, 's brennt.

Vielleicht war es ja nur eine Revue. Vielleicht wollte man uns wirklich nicht mehr bieten als ein „unvergeßlich-einmaliges und besonderes Theatererlebnis“ (Programmheft). Vielleicht kann uns Königs Rumpel- und Pumpeltheater gar nicht schlauer machen oder subtiler berühren. Vielleicht muß man in einem ellenlangen Straßenbahnwagen immer schreien, damit alle was hören, und einfache Bilder zeigen, damit alle was verstehen. Vielleicht taugt „Furor“ (Wut) nicht, die Figur eines hübschen blonden Mädchens zu verstehen, das plötzlich dem blutverschmierten Nazischläger zu Füßen sinkt.

Am Ende verbeugen sich die Schauspieler, und wir klatschen. Hätten sie sich nicht verbeugt, hätten wir nicht geklatscht. Weil das unpassend wirkt, wenn man gerade Juden verbrannt hat. So unpassend wie die Werbung am Wartehäuschen für eine neue Montagsserie des MDR: Einer für alle. Man ist sensibilisiert. Doch. Das ja.

Burkhard Straßmann

Weitere Aufführungen: Samstag, 7.11., 18 und 20.30 Uhr, Sonntag, 8.11., 15, 18 und 20.30 Uhr. Eintritt 22.- plus Verkaufsgeb., tel. Kartenservice 0421/34 35 36 (TSC). Vorverkauf nutzen, denn es werden nur 50 ZuschauerInnen pro Aufführung mitgenommen.

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