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Gingrich verabschiedet sich von der Politik

Der Vorsitzende des US-amerikanischen Abgeordnetenhauses tritt nach den Kongreßwahlen zurück und verzichtet auf sein Mandat. In der Republikanischen Partei zeichnet sich ein Richtungskampf ab  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Er war der Stratege der republikanischen Revolution und der Planer jener Kampagne, die 1994 den Republikanern die erste Parlamentsmehrheit in 40 Jahren brachte. Am Wochenende verkündete Newt Gingrich, Vorsitzender des US-Repräsentantenhauses, daß er sein Amt niederlegen und aus dem Abgeordnetenhaus ausscheiden wird. Und das in einem Jahr, in dem eigentlich sein Antagonist Bill Clinton der Verlierer der Saison werden sollte.

Mit seinem Rücktritt, der unter Republikanern als politisches Erdbeben empfunden wurde, zog Gingrich die Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden seiner Partei bei den Kongreßwahlen der vergangenen Woche. Trotz Demokratischer Zugewinne hatten die Republikaner ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus behalten — einen von ganzen sechs Sitzen. Mit einer solchen Mehrheit kann man ein Parlament nicht führen, das keine Fraktionsdisziplin kennt, jedenfalls dann nicht, wenn man wie Gingrich die Konfrontation liebt. Wie er vor der Presse sagte, wollte Gingrich mit seinem Rücktritt der Partei einen „kanibalistischen“ Bruderkampf um die Schuldzuweisung für das schlechte Abschneiden und um die neue Ausrichtung der Partei ersparen.

Als aussichtsreichste Bewerber um die Nachfolge werden der kalifornische Abgeordnete Christopher Cox und Bob Livingston aus Louisiana gehandelt. Der 48jährige Cox ist stellvertretender Vorsitzender des Komitees für Regierungsreformen und -kontrolle. Livingston, lange treuer Weggefährte von Gingrich, hatte seine Kandidatur bereits angekündigt, noch ehe dieser aufgab. Der 55jährige Anwalt ist Vorsitzender des Ausgabenausschusses. Die Abstimmung findet am 18. November statt.

Gingrich war wie kein anderer das erkennbare Gesicht der neuen Republikanischen Partei. Er war ihr ideologischer und organisatorischer Führer und der Machiavelli ihrer Renaissance. Zwar regierten seit 1968 – mit der vierjährigen Unterbrechung der Präsidentschaft Jimmy Carters – Republikaner im Weißen Haus, das eigentliche Machtzentrum des Landes aber blieb in demokratischer Hand. Gingrich war es, der den schon an ihren Minderheitsstatus gewöhnten Altherrenclub republikanischer Abgeordneter aufmischte und die zornigen jungen Männer aus der Provinz in die Partei und ins Parlament brachte. Die Waffen der republikanischen Revolution waren eine von Gingrich zentral organisierte Wahlkampfspendenkampagne, die Geldquellen für neue Kandidaten erschloß, und ein einheitliches Programm, das der Republikanischen Partei Konturen und ein Wahlkampfziel gab. Das sogenannte „Abkommen mit Amerika“ versprach eine Verkleinerung der Bundesregierung, Steuersenkungen, einen ausgeglichenen Haushalt und höhere Militärausgaben.

Daß die Republikaner mit diesem Programm 1994 mit Pauken und Trompeten gewannen, verstellte ihrem Führer den Blick dafür, daß die Mehrheit schon damals hauchdünn war. Gingrich, der mit Konfrontation das politische Establishment schockiert und die politischen Mehrheitsverhältnisse im Lande auf den Kopf gestellt hatte, erkannte nicht, daß man ein Parlament nicht mit den gleichen Mitteln führt, mit denen man dessen Mehrheitsverhältnisse umkrempelt. Gingrich entging vor allem, daß die Republikanische Partei selbst – auch nach ihrer Machtübernahme im Kongreß – ein kompliziertes Bündnis widerstreitender Kräfte ist, deren Basis ideologisch weit diffuser ist, als es Gingrichs Anhänger sind. Die Republikanische Partei vereinigt wertkonservative Liberale mit neoliberalen Konservativen, die neue christliche Rechte mit altem Geldadel, junge städtische Intellektuelle und um ihre Existenz ringende Farmer.

Gingrich, der sich einen Namen durch Angriffe auf demokratischen Filz und Korruption gemacht hatte, geriet selbst in den Verdacht, Teil des Schmutzigen Systems zu sein, das auszukehren er angetreten war. Anfang des Jahres mußte er sich vor einem Untersuchungsausschuß verantworten, weil er sein Lehramt als Professor mit dem Wahlkampf verquickt und steuerbegünstigte Spenden an gemeinnützige Organisationen zur Wahlkampffinanzierung mißbraucht hatte. Der Ausschuß, den er, wie er eingestehen mußte, belogen hatte, erkannte auf eine Geldstrafe von 300.000 Dollar.

Schwerer noch wogen bei seinen Parteigängern die Kompromisse, die er mit der Clinton-Regierung eingehen mußte. Dazu gehörte die Übereinkunft über einen ausgeglichenen Haushalt, der viele Zugeständnisse an Clintons Programme enthielt, sowie ein spät verabschiedeter Haushalt, der kaum Steuersenkungen, dafür aber viele Ausgaben enthielt, die der Präsident gefordert hatte.

Schließlich wurde Gingrich die Fehleinschätzung des Lewinsky- Skandals zum Verhängnis. Erst schwor er, keine Rede mehr zu halten, ohne Clintons „Verbrechen“ zu geißeln, dann empfahl er, den Skandal nicht zu erwähnen, um ihn schließlich in der letzten Phase des Wahlkampfs doch noch zum Thema einer großen Anzeigenkampagne zu machen. Anders als Gingrich aber ist die Nation nicht mehr am Aufstand gegen und an der Konfrontation in Washington interessiert. Die Entmachtung Gingrichs ist der Beginn und nicht das Ende eines Richtungskampfes in der Republikanischen Partei, bei dem es um die Zukunft der Partei und das Gesicht eines modernen Konservatismus sowie nicht zuletzt um das Weiße Haus im Jahr 2000 geht.

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