: Vertreibung aus dem Paradies
Der Berliner Privatsender Radio Paradiso steht vor dem Aus. Die Macher von Deutschlands erstem christlichem Vollprogramm kämpfen um Geld und Gesellschafter ■ Von Kerstin Willers
Berlin (taz) – Der Nachrichtenblock kommt zwanzig Sekunden zu spät. „Aber diese Zeit nehmen wir uns“, sagt Chefredakteur Matthias Gülzow, „für die gute Nachricht des Tages.“ Gute Nachrichten hat Radio Paradiso zu seiner wichtigsten Botschaft erhoben. Da ist die familienfreundlichste Gemeinde in Brandenburg wichtiger als Regierungskrisen oder Naturkatastrophen. „Damit zeigen wir, daß es trotz allem immer noch Hoffnung gibt“, erklärt Gülzow. Die Hoffnung – darum kreist derzeit alles beim Sender.
Denn Radio Paradiso ist pleite. Geschäftsführer Rainer Thun mußte Konkurs anmelden; die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) leitete daraufhin ein Verfahren ein, um Radio Paradiso die Sendeerlaubnis zu entziehen. Noch sind auf UKW 98,2 die „soften Hits mit Seele“, so der Werbeslogan der Radiochristen, zu hören. Bis Ende November habe Thun noch Zeit, ein Sanierungskonzept zu finden, erklärt MABB- Justitiarin Ingeborg Zahrnt. Bekommt Pfarrer Thun nicht genügend Geld zusammen, ist das erste kirchliche Vollprogramm in Deutschland endgültig gescheitert.
Dabei fing vor knapp zwei Jahren alles so verheißungsvoll an. Mit einer Mischung aus der „Verkündigung ewiger Wahrheiten und südlicher Leichtigkeit des Seins“ wollte Thun, der zuvor norddeutsche Privatsender mit religiösen Schnipseln versorgt hat, bald die ganze Republik bekehren. Radio Paradiso, untergebracht im Keller einer kircheneigenen Jugendstilvilla in Berlin-Wannsee, sollte die Keimzelle für ein bundesweites Radionetzwerk sein. In der Kirche gab es schon damals handfesten Krach um Thuns Vorhaben: Viele hielten seine Programme für zu seicht und oberflächlich.
Dennoch bekam er 4,6 Millionen Mark von zwei Dutzend evangelischen Institutionen für das erste Jahr. Zu wenig für den Radiomarkt in Berlin, der als einer der härtesten in Europa gilt. Trotzdem wollte der umtriebige Thun, der mit der Bibel einst über Campingplätze zog, weitgehend auf Werbung verzichten. Er akzeptierte eine entsprechende Lizenzauflage der MABB. Als sein Radio Paradiso dann sendete, ergab sich dieser Verzicht automatisch: Für Werbekunden war der Bibelfunk kaum interessant, weil er zu wenige Hörer hatte. In der für die Branche maßgebenden Media- Analyse rangiert Radio Paradiso „unterhalb der Nachweisbarkeitsgrenze“. Höchstens 20.000 Stammhörer sollen es sein.
Man habe den Berliner Radiomarkt einfach unterschätzt, hatte Thun schon nach den ersten Sendemonaten einräumen müssen, und erlaubte seinen News-Leuten fortan auch schlechte Nachrichten zu senden. Man habe von Anfang an zu wenig Geld gehabt, sagt Chefredakteur Gülzow. Am Konzept aber, „daß Kirche Spaß machen kann“, habe es bestimmt nicht gelegen. Spaß aber gibt es im Berliner Äther auf fast jedem der knapp dreißig Kanäle. Und Kirche lockt in der heidnischsten Großstadt Deutschlands ( 39.5 Prozent der Berliner sind eingeschriebene Christen) nur wenige.
Die 21 Paradiso-Mitarbeiter, studierte Theologen und versierte Kirchenradiomacher, sind zwar gekündigt, einige aber kommen trotzdem. Noch. „Wir haben den Sender mit aufgebaut, da geht man nicht von heut' auf morgen“, sagt Redakteurin Miriam Keuter. Aber Loyalität und Liebe zum Projekt hätten ihre Grenzen: „In spätestens zwei Wochen muß klar sein, daß wir weiter bezahlt werden.“
Ein Wettlauf gegen die Zeit für Geschäftsführer Thun und Chefredakteur Gülzow. Zunächst, sagen sie, wollen sie einen Vergleich aushandeln. Mit „ein bis zwei Millionen Mark“ stehe Radio Paradiso in der Kreide, sagt Gülzow. Er ist zuversichtlich, daß sich die Gläubiger auf einen Kompromiß einlassen. Schließlich gebe es kaum Konkursmasse, aus der sie sich bedienen könnten: „Uns gehören noch nicht mal die Schreibtische, das ist alles nur geleast.“
Außerdem sollen Stammhörer dem abgewirtschafteten Sender aus der Klemme helfen – mit je tausend Mark mindestens. „Einen hab' ich schon“, sagt Gülzow fröhlich, „der hat gleich 5.000 Mark lockergemacht.“ Ein anderer habe per Fax sogar 10.000 Mark angekündigt. Beflügelt rechnet Thun hoch: „Bis Ende November haben wir 1,5 Millionen zusammen.“ Damit will er den Sendebetrieb im nächsten Jahr finanzieren.
Dabei hat der Sender schon in den ersten 20 Monaten fast sieben Millionen Mark kirchliche Gelder verbraten. Einige der bisherigen Gesellschafter, zum Beispiel die Evangelische Kirche und die Baptisten in Berlin-Brandenburg, wollen das Projekt zwar weiter unterstützen. Aber mit dem größten Anteilseigner, der Nordelbischen Landeskirche, liegt der Sender im Clinch. Im September verweigerte die Kirchenleitung eine Finanzspritze von 600.000 Mark. „Denen paßte unsere Werbung nicht“, meint Chefredakteur Gülzow. Um sich etwas poppiger zu verkaufen, kombinierten die Radio-Paradiso- Werber Gemälde von Dürer und Rubens mit Musiktiteln. „Einige Synodenvertreter fanden das geschmacklos“, gibt Kirchensprecher Ocke Peters zu. Die Kampagne sei aber nicht der Grund gewesen, die Zahlung zu verweigern. Die Nordelbier hätten als Bedingungen gesetzt, daß auch in Berlin 600.000 Mark zusammenkommen und daß die Hörerzahl des Senders steigt. Beides war nicht der Fall.
Trotz aller schlechten Nachrichten für Radio Paradiso – von der Idee sind die beiden Radiofreaks immer noch überzeugt: „Im nächsten Jahr hätten wir schwarze Zahlen geschrieben.“ Man darf eben die Hoffnung nie aufgeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen