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Lingelingeling

■ Neu bei STN Atlas Elektronik: Ein Straßenbahnsimulator für Berlin

Man kann lingeling machen. Man kann mit 70 Sachen durch die Stadt rasen. Man kann bei Glätte Sand streuen. Man kann auch aus den Gleisen kippen oder Fußgänger überfahren. Die Bremer Rüstungsfirma STN Atlas Elektronik hat jetzt der Öffentlichkeit etwas richtig ziviles vorgestellt: einen Straßenbahnsimulator. Eine dicke Kiste auf sechs Beinen, in der angehende Straßenbahnfahrschüler wirklichkeitsnah ihr Handwerk lernen können, ohne das echte Straßenbahnnetz zu stören. Der erste Simulator steht kurz vor der Vollendung und soll noch im nächsten Monat in Berlin installiert werden.

Der Kunde: die Berliner Verkehrsbetriebe. Insgesamt 64 Gleiskilometer Ostberlins, wo noch aus DDR-Zeiten ein dichtes Straßenbahnnetz existiert, kennt der STN-Hochleistungsrechner – einschließlich aller Ampeln, Verkehrszeichen, mitsamt Straßenbegleitgrün und Plattenbauten. Die Häuserfassaden wurden abfotografiert und dem Rechner einverleibt, so daß man konkrete Strecken bzw. Straßenbahnlinien „nachfahren“ kann. Im Zentrum des Simulators, der aussieht wie man sich immer ein Ufo vorstellt, steckt ein austauschbares Modul – hier kann man eine „Original“-Tatra-Bahn der DDR installieren oder eine moderne von Siemens oder auch einen Bus.

Je nach programmierbarem Schwierigkeitsgrad kann man in menschen- und autoleeren Straßenschluchten fahren oder dichten Verkehr simulieren. „40 aktive Verkehrsteilnehmer“ sind dann mit im Rennen, z.B. auch ein Audi mit Bremer Kennzeichen, der plötzlich vor der Straßenbahn einschert und diese zur Vollbremsung zwingt. Vornehmlich an den Haltestellen stehen undisziplinierte Gestalten herum, denen die unvernünftigsten Bewegungen zuzutrauen sind. Ein Fahrlehrer, der außerhalb der Simulatorkammer sitzt, kann zudem „Nebel mit Sichtweite 50 Meter“ auftreten lassen, Glatteis oder eine Betriebsstörung oder einen Fahrkartenkontrolleur ins Spiel bringen. Ein Ungeübter fängt in der Kiste, die duch Kippen nach vorn oder hinten Bremsen oder Beschleunigen auch physisch mitteilt, sofort an zu schwitzen. „Aus ethischen Gründen“ (Projektleiter Ratte) wird das Programm gestoppt, wenn ein Crash oder eine Entgleisung unmittelbar bevorstehen. Man befinde sich ja nicht in einem Spielsalon.

Eine führende Position im Bau von Fahrsimulatoren hat sich STN aufgrund langjähriger Erfahrung speziell im militärischen Bereich erworben. Gefechtsfeld-, Unterwasserkrieg- und Navigationssimulatoren sowie Fahrprogramme für Panzerfahrschüler gehören zum täglichen Brot in Sebaldsbrück. Seit Jahren laufen auch zwei LKW-Simulatoren für die Fahrernachschulung erfolgreich; einer steht im Bremer Güterverkehrszentrum. Glaubt man STN, steht der große Boom allerdings noch aus. Im Augenblick kämpft man mit dem Konkurrenten Dornier (DASA) um einen fetten Bunderwehrauftrag: 100 bis 200 Simulatoren für die Bundeswehr-Fahrerausbildung sind geplant, die Prototypen gehen jetzt in Delmenhorst in die Testphase. Doch auch für die zivile Fahrschule sollen die Geräte (Stückpreis für ein Simulationszentrum mit drei Einheiten: drei Millionen) teure Fahrstunden ersetzen und Gefahrensituationen trainierbar machen, die im Fahrschulalltag nie vorkommen. Dann könnte man auch im Hochsommer Glatteisfahrten üben. Oder Anfahren am Berg in Bremen.

Letztlich soll Simulatorschulung Menschenleben retten. STN geht davon aus, daß die 1997 über 5.000 von PKW getöteten Personen einen volkswirtschaftlichen Schaden von 50 Milliarden Mark repräsentieren. Durch ihre Technik ließen sich fünf Milliarden Mark bzw. 500 Tote einsparen.

Und solche, die es trotzdem noch erwischt und die vielleicht schwer hirngeschädigt sind, kann STN ebenfalls trösten: Spezielle Fahrsimulatoren für ZNS-Geschädigte werden gerade getestet. Menschen, die einen so schlimmen Unfall hatten, trauen sich manchmal nie mehr ans Steuer. Mit einem Simulator für die Reha kann man solche Widerstände überwinden. Und eines Tages fährt das Unfallopfer wieder! BuS

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