: Schon Abba und Nicole viel zu kritisch
■ Zensur ist keine Spezialität allein undemokratischer Staaten. Das zeigt das Beispiel Großbritannien während des Golfkrieges
Seit dem Golfkrieg schwelt der internationale Konflikt mit dem Irak; auch heute, acht Jahre später, können erneute gewaltsame Auseinandersetzungen jederzeit ausbrechen. Kritik am Säbelrasseln und am Krieg selbst wurde jedoch nicht nur in undemokratischen Staaten geahndet.
Neunzig Minuten lang spielte Giles Peterson, DJ und Direktor des kommerziellen Radiosenders Jazz FM „Friedensmusik“. Er wollte deutlich machen, was er von einem Militärschlag gegen den Irak hält. Das war am 12. Januar 1991 – einen Tag vor Ablauf des UN-Ultimatums an Saddam Hussein, die Besetzung Kuwaits zu beenden. Eingestreut in die Sendung waren Hinweise auf Friedensdemonstrationen, die am gleichen Nachmittag in London stattfanden. Sein Engagement kostete Peterson seinen Job. Der Grund: Gegen das Programm des Senders seien „ernstzunehmende Beschwerden“ eingegangen, hieß es von offizieller Seite.
Nach dem Senderecht von 1990 sind nicht nur staatliche, sondern auch kommerzielle Sender zur politischen Neutralität verpflichtet. Und gegen diese Regelungen habe Jazz FM verstoßen, beanstandete die zuständige Behörde. Die Entlassung von Giles Peterson, betonte man später, sei allerdings die Entscheidung des Senders gewesen.
Der öffentlich-rechtliche Sender BBC konnte derweil seine politische Allianz mit der britischen Regierung unbehindert demonstrieren; er strahlte Sendungen von Simon Bates, die die Kampfmoral der britischen Soldaten heben sollten, aus. Während Privatsender zur Neutralität verpflichtet wurden, nutzte die BBC eine bekannte Popsendung, um die Einsätze „unserer Jungs“ im Golf zu würdigen.
Kurz nach Kriegsausbruch entschied die BBC zudem, daß man auf die Sensibilität der Hörer Rücksicht nehmen müsse. Es wurde eine Liste von Songs zusammengestellt, die während des Krieges mit Vorsicht gehandhabt werden sollten, und an alle 37 regionalen BBC-Studios verschickt. Unerwünscht waren beispielsweise: Abbas „Waterloo“, Ahas „Hunting High and Low“, The Bangles' „Walk Like an Egyptian“, Kate Bushs „Army Dreamer“, José Felicianos „Light My Fire“, Lulus „Boom Bang A Bang“, Nicoles „A Little Peace“ und Tears for Fears' „Everybody Wants to Rule the World“. Die Aktion erntete in der britischen Presse Hohn und Spott.
Der BBC-Direktor Tim Neale sah sich genötigt, öffentlich zu erklären, man habe eben alle Lieder erwähnt, bei denen „etwas Nachdenken vonnöten“ sei. Die Liste enthielt auch technische Anleitungen darüber, wie man die unerwünschten Songs in den Computern, die die Musik für bestimmte Sendungen automatisch abrufen, sperren kann. Neale betonte, daß es sich keineswegs um ein Verbot, sondern um eine Empfehlung handeln würde. Man habe mit der Liste „lediglich versuchen wollen, anderen Leuten Zeit zu sparen und dafür zu sorgen, daß mit Bedacht vorgegangen und Beschwerden unnötig“ würden. De facto kam es allerdings einem Verbot gleich.
So kam es, daß die Single „High Wire“ von den Rolling Stones, die den Waffenhandel kritisierte und in dieser Zeit herauskam, auf BBC nicht gespielt wurde. Der Chef der BBC-Station Radio 1, Johnny Beerling, rechtfertigte diese Haltung in einem Zeitungsinterview: Würde man „High Wire“ spielen, setze man sich der Gefahr aus, von den Krikern einmal mehr als „linke BBC“ gegeißelt zu werden, die für „die Feinde der Freiheit“ eintrete. Tatsächlich kritisierte der konservative Abgeordnete Sir John Stokes das Lied als „empörend in einer Zeit des Krieges“ und forderte die Rollings Stones zu mehr Patriotismus auf.
Auch ältere Musikstücke blieben nicht verschont. 1974 war „Billy, Don't Be a Hero“ von Paper Lace der große Hit in Großbritannien. Der Song erzählt die Geschichte eines gefallenen Soldaten. Als es auf der BBC-Station Radio 1 während des Golfkrieges gespielt wurde, gingen unmittelbar danach 110 Beschwerden beim Sender ein.
Es gab noch mehr Musikstücke, die nicht gesendet oder wegen des Krieges leicht „korrigiert“ wurden. Carter The Unstoppable Sex Machines „Bloodsports for All“ – ein Protest gegen den Rassismus in der Armee – wurde von der BBC abgelehnt. Die Band machte deshalb die B-Seite ihrer Single, „Bedsitter“, zur A-Seite. Die Happy Mondays mußten aus ihrem Song „Lose Fit“ die Zeilen „Gonna build an airforce place / Gonna blow up your race“ entfernen, um gespielt zu werden. Die Gruppe KLF schnitt Samples von Maschinengewehrfeuer aus ihrer Single „3 AM Eternal“ heraus, und die Band Massive Attack wurde nur „Massive“ genannt. Tim Simenon ließ sich wieder bei seinem bürgerlichen Namen nennen und nicht, wie sonst, bei seinem Szenenamen „Bomb the Bass“. In den Zeitungen stand zu lesen, daß der Privatsender Victory Blondies „Island of Lost Souls“ während des Golfkrieges nicht spielte.
Im Rückblick erscheinen diese Restriktionen albern und oberflächlich. Gerade das aber wirft die Frage auf, warum sie überhaupt durchgeführt wurden. Klar ist, daß die BBC nach Jahren politischer Angriffe von einer ihr ungnädig gesonnenen Regierung, die den Sender lange schon als Verkörperung des geschmähten liberalen Establishments wahrnahm, nervös wurde. Zeitgleich stand nämlich die Erneuerung des Lizenzvertrags an – und das ließ die BBC kleinlaut und vorsichtig werden.
Das Bestreben, die Hörerschaft ja nicht zu irritieren, ist daher wohl zu großen Teilen als vorauseilender Gehorsam gegenüber der Regierung zu interpretieren. Man sollte die Restriktionen, denen so viele populäre Musiksendungen in dieser Zeit ausgesetzt waren, allerdings auch als Versuch werten, eine Prokriegsstimmung herzustellen.
Abweichendes wurde erstickt, potentiell kritische Songtexte wurden beschnitten. Die Antikriegstradition des Pop war – mit Ausnahme der „Musicians against the War“ – unsichtbar geworden. So konnte Pop als Teil eines Konsenses präsentiert werden, der Krieg befürwortete oder doch wenigstens nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Martin Cloonan
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