: Modell für Deutschland
■ Eine Halbierung der Arbeitslosigkeit hat Kohl einst versprochen. Solche Ankündigungen vermeidet Kanzler Schröder tunlichst. Doch die Erwartungen an das „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“, so der offizielle Titel, sind hoch. Am Montag geht's los
Für den Kanzler beginnt am Montag das „zentrale Projekt“ seiner Regierungspolitik: das Bündnis für Arbeit. Politisch soll fast alles vom Gelingen dieser Gespräche abhängen. An nichts weniger als an einem erfolgreichen Abbau der Massenarbeitslosigkeit will Gerhard Schröder den Erfolg seiner Regierung messen lassen. Die neue rot-grüne Bundesregierung setzt immense Hoffnungen in das Bündnis für Arbeit. „Zentrales Instrument“ für eine „wirklich entschlossene Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ soll es sein.
Die Protagonisten der Gespräche sehen das je nach Lagerzugehörigkeit unterschiedlich. Die Arbeitgeber müssen mit der gebotenen Skepsis in die Verhandlungen gehen. Schließlich will die Regierung gegen den Widerstand der Unternehmen Kohls Kündigungsschutz- und Lohnfortzahlungsgesetze wieder streichen.
Hans-Olaf Henkel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), machte schon im Vorfeld mächtig Rabatz. Mitte Oktober sagte er, er lasse das Bündnis für Arbeit platzen: Wenn die SPD ihre Sozial- und Steuerpolitik durchsetze, „dann können wir keine Hand zum Bündnis reichen“. DIHT-Chef Hans Peter Stihl warnte davor, das Bündnis zu einem „Muster ohne Wert“ verkommen zu lassen. Und Arbeitgeberchef Dieter Hundt (BDA) drohte damit, das Bündnis gleich beim ersten Treffen sterben zu lassen. Starke Worte von starken Männer. Sie bedeuten nicht viel.
Am Montag fahren alle vor das Bundeskanzleramt: Henkel, Stihl, Hundt und Dieter Philipp vom Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT). Sie treffen alte Bekannte aus dem Gewerkschaftslager: DGB-Chef Dieter Schulte, Klaus Zwickel (IG Metall), Hubertus Schmoldt (IG Bergbau, Chemie, Energie), Herbert Mai (ÖTV) und Roland Issen (DAG). Die Regierung schickt Kanzler Gerhard Schröder und die Minister Walter Riester, Werner Müller, Bodo Hombach, Oskar Lafontaine und Andrea Fischer. Letztere soll zugleich die grüne Fraktion repräsentieren. Dreizehn Männer und eine Frau beraten darüber, wie die Arbeitslosigkeit abgebaut werden könnte, der Kanzler wird die Gespräche leiten.
Bundesarbeitsminister Walter Riester will vier Themen behandeln: das Sofortprogramm für 100.000 Jugendliche, die Arbeit bzw. Ausbildung erhalten sollen. Zweitens soll über einen Generationenpakt geredet werden: Stichwort dafür ist die ungekürzte Rente ab 60, die mittels Tariffonds finanziert werden soll. Die Höchstarbeitszeitgrenze von derzeit 60 Wochenstunden soll herabgesetzt werden. Und viertens soll es um „mehr Beschäftigung für Menschen mit geringer Qualifikation gehen“, so Riester. Die Regierung fordert zusätzliche Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor, wenn nötig, auch zu Niedrigtarifen.
Die Wirtschaftsverbände werden ihre eigene Tagesordnung mitbringen. Regierung und Gewerkschaften müßten von ihrem „Tabukatalog“ abrücken, sonst werde es kein wirksames Bündnis geben, sagte gestern Werner Stumpfe, Chef der Metallarbeitgeber. „Die Bundesregierung sagt, über die Steuereform wird nicht verhandelt. Sie weigert sich, über die Rücknahme wichtiger Rechtsänderungen beim Sozial- und Arbeitsrecht zu reden. Die Gewerkschaften wollen die Lohnpolitik ausklammern. Wir, die Arbeitgeberverbände, sollen dagegen ohne jede Vorbedingung an den Verhandlungstisch gehen“, klagte Stumpfe. Er sitzt zwar nicht mit am Tisch, hat sich aber in der ersten Bündnisrunde 1996 als Wadenbeißer hervorgetan.
Die Hoffnung, daß der neuerliche Versuch nicht sofort scheitern wird, will sich zwei Tage vor dem ersten Treffen keiner vermiesen. Zwar hält Dieter Hundt den Tariffonds nach wie vor für einen „illusionären Vorschlag aus der Wundertüte“, aber BDI-Unterhändler Wartenberg signalisierte bereits Interesse an dem Vorschlag. Allerdings verlangt er, daß die Arbeitnehmer alleine für die Kosten aufkommen sollten. Dieter Hundt favorisiert einen eigenen Niedriglohnsektor im Dienstleistungsbereich und verspricht damit bis zu vier Millionen neuer Jobs.
Wenn die Gewerkschaften über das Bündnis für Arbeit nachdenken, sind sie zunächst einmal prinzipiell optimistisch: DGB-Chef Dieter Schulte sieht darin ein probates Instrument. „Wir können am Tisch des Kanzlers keine neuen Arbeitsplätze schaffen“, räumte er ein, „aber wir können Weichen so stellen, daß in den Unternehmen mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze entstehen.“
Über Lohnforderungen möchten einige Gewerkschafter freilich am liebsten überhaupt nicht sprechen. Verständlich, fordert doch zum Beispiel die IG Metall in der kommenden Tarifrunde 6,5 Prozent Lohnerhöhung. Anders allerdings Hubertus Schmoldt. Der Spitzenmann der Chemiegewerkschaft stellte vorab eine moderate Lohnpolitik in Aussicht, wenn die Forderungen nach Abbau der Überstunden erfüllt würden. Und eigentlich liegt Dieter Schulte auch auf dieser Linie. Gestern allerdings mußte er sich hinter die Forderungen der mächtigsten Einzelgewerkschaft IG Metall stellen: „Wir reden über Arbeitsumverteilung. Das hat mit Bezahlung nichts zu tun“, sagte der DGB-Chef. Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich und der Tariffonds seien doch lauter Themen, die auch Auswirkungen auf Lohn und Einkommen haben. „Es wird aber nicht gehen, daß die Unternehmemen als erstes eine Generalabsolution erhalten“, so Schulte.
Hauptsache erst einmal beginnen, erst einmal reden. Walter Riester, Gerhard Schröder, Dieter Schulte und die anderen sind sich zumindest in einem Punkt einig: Die Anforderungen an die Gespräche dürfen nicht zu hoch sein. Drei Stunden will man am Montag miteinander sprechen. Danach soll für zwei Monate Pause sein. Annette Rogalla, Wolfgang Gast
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