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Lügt der Lügentest?

■ Eine Anhörung vor dem Bundesgerichtshof soll klären, ob sich Angeklagte künftig freiwillig einem Lügentest unterziehen dürfen. Die Zuverlässigkeit der Methode ist umstritten

Karlsruhe (taz) –„Der Lügendetektor ist als Methode uneingeschränkt abzulehnen.“ Zu diesem Schluß kam der Heidelberger Psychologieprofessor Klaus Fiedler gestern vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Im Rahmen einer Sachverständigenanhörung soll geklärt werden, ob sich Angeklagte künftig freiwillig einem Lügentest mit dem Polygraphen (Mehrkanalschreiber) unterziehen dürfen.

Der Polygraph mißt Blutdruck, Puls und Schweißproduktion. Es wird angenommen, daß sich diese Werte bei einer Lüge automatisch erhöhen. Im Rahmen solcher Lügentests werden Fragen zur Tat und Kontrollfragen zur allgemeinen Glaubwürdigkeit („Haben Sie schon einmal gelogen?“) vermischt. Angeblich ist ein Täter besonders erregt, wenn er die Tat verneint, während den Unschuldigen vor allem peinliche Fragen zu seiner Glaubwürdigkeit in Gewissensnot bringen.

Diese Annahmen hält Psychologe Fiedler jedoch für „wissenschaftlich nicht haltbar“. Auch der Unschuldige könne bei tatbezogenen Fragen Angst vor den Folgen seiner Antwort haben, schließlich stünden auch für ihn Freiheit und Ansehen auf dem Spiel.

Außerdem könne die Scham, über Sachverhalte mit sexuellem Inhalt reden zu müssen („Haben Sie die Frau vergewaltigt?“), bei Unschuldigen zu verzerrenden Reaktionen führen. „Wer sich bei einer Kontrollfrage auf die Zunge beißt, wirkt wie ein Unschuldiger“, verriet Fiedler. Der Test sei also auch ganz einfach zu manipulieren.

Die Studien der Befürworter, in denen von bis zu neunzigprozentiger Zuverlässigkeit in der Praxis die Rede ist, hielt der Heidelberger Psychologe dagegen für eine „statistische Illusion.“ Hier seien nämlich solche Fälle überproportional vertreten, in denen Angeklagte eine Tat gestanden, nachdem sie durch den Lügendetektor-Test belastet worden waren.

Im Laufe der Anhörung, deren Ende erst für den späten Abend vorgesehen war, sollten außerdem noch die beiden Psychologieprofessoren Udo Undeutsch aus Köln sowie Max Steller aus Berlin gehört werden.

Von Undeutsch ist bekannt, daß er ein glühender Verfechter des Lügendetektors ist. In seinem Institut wurden Laborversuche unternommen, die immerhin eine 98,5prozentige Genauigkeit der Methode diagnostizieren. Steller dagegen gilt als differenzierter Kritiker.

Seit den 50er Jahren gilt der Polygraph im deutschen Strafprozeß als unzulässig, da er die Menschenwürde verletze. Daß der BGH sich nun mit der Genauigkeit der Methode auseinandersetzt, deutet an, daß verfassungsrechtliche Probleme inzwischen nicht mehr im Vordergrund stehen.

Christian Rath

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