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Dschafar Pujandeh ist der fünfte iranische Regimekritiker, der innerhalb eines Monats ermordet wurde. Die Mordserie ist Ausdruck der Unsicherheit des Regimes. Die Regierung Chatami reagiert auf die lauter werdenden Proteste mit Drohungen und Gewalt Von Thomas Dreger

Dissidenten fürchten einen „Unfall“

Der Appell kam zu spät. „Sehr geehrter Staatspräsident der Islamischen Republik, Herr Chatami“, beginnt ein gestern in der iranischen Presse veröffentlichtes Schreiben. „Wie Sie bereits wissen, ist nach anderen Mordanschlägen in den letzten Tagen Mohammad Mohtari auf grausame Art und Weise ermordet worden. Mohammad Dschafar Pujandeh ist entführt worden. Wir Schriftsteller fordern Sie als Führer der Exekutive, die für die Sicherheit von Leib und Leben der Bürger verantwortlich ist, dringend auf, dieser Sitution ein Ende zu setzen.“ Die Unterzeichner sind identisch mit den Autoren des unten dokumentierten Briefes an Irans Bevölkerung.

Doch als beide Schreiben öffentlich wurden, war Pujandeh bereits tot. In der Nacht zu Sonntag teilte die Polizei seiner Familie mit, die Leiche des 45jährigen Essayisten und Übersetzers sei bereits am Donnerstag in einem Vorort von Teheran unter einer Brücke entdeckt worden. Der Tote habe erst identifiziert werden können, als eine Zeitung sein Foto veröffentlichte. Laut Polizeibericht wurde Punjadeh erwürgt. Der oder die Täter nahmen ihm die Papiere ab, nicht aber Uhr und Goldring.

Pujandeh ist der fünfte iranische Regimekritiker, der innerhalb eines knappen Monats ermordet wurde. Am vergangenen Mittwoch – jenem Tag, an dem seine Familie Pujandeh als vermißt meldete – entdeckte der Sohn des Schriftstellers und Lyrikers Mohammad Mohtari seinen toten Vater in einer Leichenhalle. Der Hals des Toten wies Würgemale auf.

Mohtari und Pujandeh gehören zu jenen iranischen Literaten, die versuchen, einen unabhängigen Schriftstellerverband ins Leben zu rufen. 1994 standen ihre Namen unter dem „Aufruf der 134“, einem Appell zur Gründung einer solchen Institution. Fast alle Unterzeichner bekamen Probleme mit den Behörden, viele wurden verhaftet. Dieses Schicksal erlitten auch Mohtari und Pujandeh. Im vergangenen September veröffentlichten sie mit fünf anderen Autoren einen neuen Appell für die Gründung eines Literatenverbandes. Bis auf einen Unterzeichner, der sich gerade im Ausland aufhielt, wurden alle festgenommen. Zur Freilassung bekamen sie die Drohung auf den Weg, die Fortsetzung ihrer Aktivitäten könnte tödlich enden. Dennoch veröffentlichte Pujandeh wenige Tage vor seinem Tod ein Buch zum Thema Menschenrechte.

Zu diesem Thema äußerte sich am Samstag auch Irans als vergleichsweise moderat geltender Präsident Mohammad Chatami. Göttliche Religionen seien die größten Verfechter der Menschenrechte, schreibt er in einer Grußbotschaft zu einer in Teheran stattfindenden Konferenz zum Thema „Islam und Menschenrechte“. Besonders der Islam habe die Verteidigung der legitimen Rechte von Menschen stets betont. Der Stellenwert, den der Islam der Freiheit des Menschen zumesse, widerlege die Ansicht, daß die Wurzeln des Konzepts Menschenrechte außerhalb der islamischen Welt liegen.

Die derzeitige Realität in der Islamischen Republik spricht jedoch für das von Kulturrelativisten gerne zur Legitimation eigener Schandtaten beschworene Gegenteil. Hatte sich die Situation nach Chatamis Amtsantritt im Sommer 1997 zunächst gebessert, so ist seit einem halben Jahr eine Verschärfung spürbar. Er befürchte „eine Rückentwicklung“, erklärte der UN-Sonderbeauftragte für die Menschenrechte in Iran im September gegenüber dem UN-Sicherheitsrat. Besonders besorgniserregend sei die Situation religiös Andersdenkender, allen voran der Bahai. Am 22. November wurden der iranische Nationalist Dariusch Foruhar und seine feministisch engagierte Frau Parvaneh Iskanderi tot in ihrer Wohnung gefunden, einige Tage später Foruhars Vertrauter Madschid Scharif. Die Mordserie hatte begonnen.

Auf den Frühling der „relativen Freiheit“ nach Chatamis Wahl folge ein „Winter des Mißvergnügens“, heißt es in Teheran. In Irans Hauptstadt kursiert eine Liste mit den Namen von siebzig Todeskandidaten. Dissidenten trauen sich kaum noch vor die Tür. „Ich muß immer damit rechnen, Opfer eines rätselhaften Unfalls zu werden“, erklärt einer am Telefon.

Weniger prominente Iraner begreifen die Lage jedoch als Ansporn zum Kampf um Demokratie. An Universitäten finden unangemeldet Proteste statt. „Die werden immer frecher“, berichtet ein Journalist. Kürzlich hätten Studenten gar skandiert: „Es lebe Mossadegh!“ Der 1953 mit Hilfe der CIA gestürzte linke Präsident gilt Irans Theokraten als Unperson. Wohl deshalb findet der Verblichene unter Jugendlichen neue Anhänger. „Bisher“, so der Journalist, „war das undenkbar.“

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