piwik no script img

Wie das Leben selbst

Spiralig verlieren und finden sich die Kunstwerke von Jimmie Durham im festgefügten Raum der daad-Galerie  ■ Von Michael Nungesser

Jimmie Durham wurde 1940 in Washington, Arkansas, geboren. Er ist Cherokee, Aktivist der indianischen Bürgerrechtsbewegung, Schriftsteller, Verleger, Installations- und Objektkünslter, Performer, documenta- und Whitney- Biennale-Teilnehmer. Und er ist derzeit DAAD-Stipendiat in Berlin, stellt in der daad-Galerie aus und hat dazu auch ein Künstlerbuch veröffentlicht. Nach all dem Gesagten besteht eine hohe Erwartungshaltung, von der man nicht sagen kann, daß sie nicht eingelöst wird, wohl aber unterlaufen. Ohne Hintergrundinformationen, die in der Ausstellung fehlen, wirkt das spröde, ja karge Ambiente aus Arbeiten auf Papier irritierend verloren und verschlossen.

Durhams Arbeitsmaterial ist durchgehend Graphit. Als gewischte Schattenform erscheint es im oktogonalen Eingangsraum auf den vorgeblendeten, fliederfarbenen Wänden. Durham hatte auf dem Trödel mehrere Stofftiere gekauft, sie in einen Sack mit Graphitpulver gesteckt und sie dann gegen die Wand geworfen. Schleif- und Aufprallspuren haben ein regelmäßiges, flüchtiges Muster hinterlassen, lediglich Fische und auch Handabdrücke sind identifizierbar. Auf einem großen Bogen Papier, außerhalb des Raumes, noch einmal zwei Abdrücke: Bärchen. „Bärlin wins again“ steht darunter in recht kryptischer Selbstverständlichkeit.

Berlin steht sozusagen unausgesprochen und stellvertretend auch bei den weiteren häufig großformatigen, direkt auf die Wand gepinnten Graphitzeichnungen im Hintergrund. Wie für jeden DAAD-Stipendiaten ist auch für Durham Deutschunterricht obligatorisch.

Der eine Teil der Arbeiten enthält einfache, fast krakelige Zeichnungen. Horizontlinie, Rechteck und Hausumriß mit Worten darin wie Raum, Wiesen, Feld, Wald, Welt: die ersten Schritte im neuen Idiom. Oder Zeichnungen, die Grundrissen ähneln, mit übers Blatt verstreuten Wortspielen, deren etymologische Verwandtschaft verblüffende, entlarvende, unangenehme, witzige Assoziationen ergibt: Fehler, Fehlen, Ferkeln, Fesseln, Feuilletonistisch (aha!). Oder auch: Schnittlinie, Schnittpunkt, Schnitzel, Schnittwunde. Kühner Sprung, schmerzlicher Wechsel.

Der andere Teil der Zeichnungen setzt sich aus Gesichtern zusammen. Neben einer Reihe von Tierköpfen – Katze, Hase, Pferd Fuchs – stehen gleichberechtigt unregelmäßig über eine ganze Wand verstreute Gesichter (en face und Profil), darunter Freunde und Bekannte, aber auch Kohl/Schröder, Pinochet und Kaspar König, gezeichnet nach Zeitungsfotos, alle in Schwarzweiß – außer Schröder („with colour made up from TV“). Keine Bildnisse im strengen Sinne, sondern Annäherungen, karikaturistisch, naiv, entstellt. Was Durham Gesichter bedeuten, zeigen weitere großformatige Zeichnungen: auch Gesichter – aber anonyme, schematische, aus wenigen scharfkantigen Falten, Konturen, Mündern oder Augenhöhlen zusammengesetzte.

Durhams Arbeit ist von einer nomadischen und schamanischen Lebensform geprägt, von einem Verlorensein und einer Wurzellosigkeit in der Welt, denen alles Feierliche, Bombastische, Aufgesetzte, Konstruierte abgehen. Das zeigt auch sein Textbuch mit eigenen Zeichnungen und Aufnahmen seiner Lebensgefährtin, der brasilianischen Fotografin Maria Thereza Alves, die Dingen nachspürt – banalen, unscheinbaren, trashigen.

Durham schreibt über alles mögliche, was ihm durch den Kopf geht, über Tagträume, Alltagsbeobachtungen, Geschichtsreflexionen, auch über das Schreiben und das Kunstmachen – ohne Leitfaden, voller Brüche und Abbrüche, mäandernd und spiralig, „gegen die narrative Richtschnur“, wie er selbst bekennt. Es ist auch ein „Buch gegen Architektur“, also wider alles Festgefügte, Genormte, Hieratische. Er schreibt über etwas, „das nirgendwo hinführt und nirgendwo herkommt“. Das hat surreale Züge, erzeugt häufig Verwirrung oder auch Langeweile, wie das Leben selbst.

daad-Galerie, Kurfürstenstraße 58, Tiergarten, bis 30. Dezember. Täglich 12.30 Uhr bis 19.00 Uhr geöffnet. Zur Ausstellung ist ein Künstlerbuch erschienen (30 Mark, im Buchhandel 38 Mark).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen