piwik no script img

■ Die Debatte zwischen Bubis und Walser: Fortsetzung folgt

Das am Samstag überraschend in den Räumen der FAZ zustanden gekommene Gespräch zwischen dem Schriftsteller Martin Walser und Ignatz Bubis, dem Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, hat zu keiner Einigung, aber zu einer Beschwichtigung der heftigen Reaktionen auf Walsers Rede in der Paulskirche geführt. Damit ist eine Grundlage geschaffen, um den seit Wochen äußerst emotional geführten Streit über eine künftige Erinnerungspolitik der Deutschen auf intellektuell anspruchsvollem Niveau fortzusetzen.

Den Sinn der gemeinsamen Unterhaltung sieht Martin Walser darin, eine neue Sprache für den Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust zu finden. Walser sprach von einem Gewissensrisiko. „Mir ist ein freies Gewissen, das zu inakzeptablen Ergebnissen kommt, lieber als ein gebundenes Gewissen, das im Nachbeten von Wohlempfohlenem sein Auskommen findet.“

In langen Passagen des fast vier Stunden dauernden Gesprächs, das die FAZ gestern dokumentierte, tauschten sich Walser und Bubis über die Mißverständnisse aus, die Walsers Rede ausgelöst hatte. Bubis beharrte auf dem Kritikpunkt, daß Walsers Text von rechten Kräften mißbraucht werden könne. Er nahm im Verlauf des Gesprächs den Vorwurf zurück, Walser sei ein geistiger Brandstifter.

Walser entsprach in dem Gespräch einer zuletzt auch vom israelischen Botschafter Avi Primor geforderten Klarstellung. Er habe in seiner Rede vor allem auf den Umgang der Medien mit dem Holocaust abgezielt. Auf keinen Fall habe er die Ansprüche von Zwangsarbeitern herabsetzen wollen. Er habe außerdem sagen wollen, daß er selbst die aus seiner Sicht zu häufig gezeigten Bilder von Konzentrationslagern im Fernsehen physisch und psychisch nicht mehr ertrage. Es sei aber falsch, wie Bubis von seinem „Wegschauen“ darauf zu schließen, daß er bei der Erinnerung an die Judenvernichtung einen Schlußstrich ziehen wolle.

Von einem Schlußstrich kann denn auch nicht die Rede sein – schon gestern fand die Diskussion ihre Fortsetzung. Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel forderte Martin Walser dazu auf, seine Aussagen über eine „Instrumentalisierung“ des Holocaust klarzustellen. Walser müsse sagen, auf wen konkret seine Kritik abziele. „Er hat wieder versäumt zu sagen, wer ihn in seinem Gewissen bedrängt, wer die Erinnerung an Auschwitz instrumentalisiert, wer ihn mit der Moralkeule bedroht“, so Vogel.

Der Schriftsteller Walter Jens sagte: „Nun wird jenseits der Personalisierung grundsätzlich die Debatte weitergehen.“ Er forderte: „Jetzt soll endlich einmal gefragt werden: Was verdanken die Deutschen in ihrer Geschichte den Juden – das ist für mich das Wichtigste.“

Unterdessen kam eine ZDF- Umfrage zu dem Ergebnis, daß sich rund die Hälfte der Deutschen einen Schlußstrich unter den Holocaust wünschen. Harry Nutt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen