piwik no script img

Jeder Bürger kann Einwendungen erheben...

Leichter gesagt als getan: Wer sich gegen den Bau einer Straße oder den geplanten Transrapid wehren will, ist der Bürokratie ausgeliefert. Es warten Berge von Akten, Plänen und Texten. Bürgerbeteiligung ist längst eine Angelegenheit für Experten und kostet außerdem viel Geld  ■ Von Jutta Wagemann

An den Lärm der Straße hat sich Hans M. mühsam gewöhnt. Nachts schläft er mit geschlossenen Fenstern, die Hauswand ist von den Abgasen dunkelgrau geworden. Doch jetzt hat er genug. Denn bei der Straße soll es nicht bleiben. Wenn die Bundesregierung ihr Okay gibt, wird Hans M. in zwei bis drei Jahren auch noch den Transrapid vor der Nase haben. Die Pläne für den ersten Bauabschnitt der Berliner Trasse liegen seit Montag in der Bauverwaltung aus.

Für Hans M. ist das Maß voll. Die milliardenschwere Magnetschwebebahn will er nicht hinnehmen. Das Bezirksamt erklärt sich für sein Anliegen nicht zuständig. Auch die Polizei weiß nichts. Hans M. lernt übers Telefon ziemlich viele Berliner Behörden kennen. Denn leider hat er nicht am richtigen Tag auf die richtige Seite seiner Lokalzeitung geguckt. Sonst hätte er die kleingedruckte Anzeige der Bauverwaltung gesehen: „Auslegung von Planunterlagen zum Zweck der Planfeststellung für den Neubau der Trasse für die Magnetschwebebahn Transrapid: Jeder kann bei der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr ... Einwendungen gegen den Plan erheben.“ Die zuständige Behörde hätte Hans M. auf diese Weise gleich gefunden. Und dann?

In der Bau-Hauptstadt Berlin stehen permanent Großprojekte auf der Tagesordnung: Bahnhöfe werden ausgebaut, die Verlängerung des vierspurigen Stadtrings nach Osten ist geplant, der Flughafen Schönefeld soll „Drehkreuz des Ostens“ werden und eine sechsspurige Autobahn als Anbindung erhalten.

Hätte der Hausbesitzer M. aus Moabit den Weg zur Bauverwaltung gefunden, hätte er sechs prall gefüllte Aktenordner vorgefunden: große Pläne mit vielen gepunkteten, gestrichelten oder durchgehenden Linien und bunten Flächen, mit Zahlen wie XV-51j. Und dazu: Text, Text und noch mal Text. In schönstem Juristendeutsch wäre er über das Linienbestimmungsverfahren, über TWSZ I-III (Trinkwasserschutzgebiete) und über den Bereichsentwicklungsplan informiert worden, alles gemäß der Paragraphen soundso des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes und anderer Ungetüme.

Mitglieder von Bürgerinitiativen setzen sich deshalb abends nach der Arbeit oder am Wochenende freiwillig hin und studieren stundenlang Akten und Pläne. „Seit sieben Jahren“, erzählt etwa Siegfried Menzel, „setzen wir uns mit der Trasse für die Autobahn zum Flughafen Schönefeld auseinander.“ Das Ehepaar Menzel, das die Bürgerinitiative Stadtring-Süd/ Interessengemeinschaft Teltowkanal (Biss/IGT) leitet, kann die Tage nicht mehr zählen, die es investiert hat, um den Bau zu verhindern. Beim Bebauungs- und Flächennutzungsplan sowie beim Planfeststellungsverfahren sieht der Gesetzgeber die Beteiligung der Bürger vor. Aber nur wer das fristgerecht macht, hat später auch die Berechtigung, gegen den Planfeststellungsbeschluß, der den endgültigen Bau festlegt, zu klagen.

Die einzelnen Stufen der Planung ziehen sich über Jahre hin. Wenn ein Plan erst geboren ist, zeigt die Erfahrung von Siegfried Menzel, „hat er ein zähes Leben“. Bürger, die damit nicht einverstanden sind, brauchen einen langen Atem. Norbert Rheinlaender kann das aus vollem Herzen bestätigen. Seit zwei Jahrzehnten bekämpft er mit seiner Bürgerinitiative die Westtangente, die Nord-Süd-Straßenverbindung zwischen dem Potsdamer Platz in Berlin-Mitte und dem Autobahnkreuz Schöneberg im Süden. Und noch immer ist der Plan nicht tot.

Menschen wie Norbert Rheinlaender sind über die Jahre zu Experten geworden. In den Verwaltungen sitzt zwar stets ein Mitarbeiter, der die Akten erläutert, aber „die richtigen Fragen muß man selbst stellen“, sagt Rheinlaender. Die Verwaltung betrachtet es als „Service“, überhaupt einen Beamten zur Verfügung zu stellen, wie Hiltrud Kürschner von der Verkehrsverwaltung sagt.

Um sich an den Verfahren zu beteiligen, brauchen Bürger nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz bekommt als Dachverband der Umweltverbände zwar zweimal den kompletten Ordnersatz von der Verwaltung. Das reiche jedoch nicht aus, sagt Rheinlaender. Den betroffenen Bürgern bleibt also nichts übrig, als sich alle notwendigen Unterlagen zu kopieren, beim Amt für eine Mark pro DIN-A-4-Blatt. Zudem richten Bürgerinitiativen häufig Büros ein, um für ratsuchende Betroffene erreichbar zu sein. Die Mietkosten tragen sie.

Große Bauprojekte sind von einer Bürgerinitiative allein nicht mehr zu bewältigen. Das Berliner Mammutbeispiel ist der Tiergartentunnel für den Zug- und Autoverkehr: Die Planungsunterlagen umfaßten 55 Aktenordner. Vier Wochen lang konnte das Material eingesehen werden. Die Tunnelgegner schlossen sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen und engagierten zig Spezialisten der Universitäten und Verbände. 50 AG-Mitglieder erarbeiteten eine 111seitige Einwendung.

Nach einer bestimmten Frist folgte wie bei jedem Planfeststellungsverfahren der Erörterungstermin. Dabei muß sich die Behörde den Fragen der „Einwender“ stellen. Dieser Termin, der sich im Fall des Tiergartentunnels auf drei Wochen erstreckte, findet gewöhnlich zu den üblichen Bürozeiten statt – also wenn alle Bürger arbeiten. Erscheint jemand nicht, gilt sein Einwand als erledigt. Der letzte Schritt ist die Klage. Nur wenn die „körperliche Unversehrtheit“ oder Belange des Naturschutzes verletzt sind, haben BürgerInnen überhaupt eine Chance vor Gericht. Die Tiergartentunnel- Gegner verloren und blieben auf 100.000 Mark Prozeßkosten sitzen.

Für einen Bürger allein ist die ernsthafte Beteiligung an Planfeststellungsverfahren kaum möglich. Allein die Pläne für die nur 17 Kilometer lange Trasse des Transrapids in Berlin füllen 18 Aktenordner. Der erste Teil liegt – wie es häufig geschieht – während der Ferien aus, diesmal sogar über Weihnachten, wenn viele Betroffene verreist sind. Immerhin können die Berliner froh sein, daß sie nicht für die gesamte Strecke Hamburg– Berlin zuständig sind. Die Reihe der Ordner ist 1,5 Kilometer lang.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen