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Rokoko und Sternenhimmel

Gleich drei Aufführungen von Mozarts „Zauberflöte“ sind derzeit in der Hauptstadt zu bestaunen. Die Berliner Opernhäuser scheinen einem Wiederholungszwang erlegen  ■ Von Ralph Bollmann

So einig waren sich die Kritiker nie: Wenn die Zeitschrift Opernwelt alljährlich per Umfrage das „Opernhaus des Jahres“ krönt, vergibt sie auch den weniger schmeichelhaften Titel „Ärgernis des Jahres“. Gewöhnlich nennen die professionellen Operngänger unter dieser Rubrik knödelnde Tenöre, plüschige Inszenierungen oder langweilige Spielpläne. Daß die Musiktheater eines ganzen Bundeslandes zum Desaster erklärt werden, ist neu. 15 der 50 befragten Kritiker monierten für die gesamte Spielzeit 1997/1998 „das permanente Schmierentheater“ um die Berliner Bühnen, „die Erstarrung der Berliner Musikszene dank einer unfähigen Kulturverwaltung“. „Nicht einmal kulinarisch“ bekomme Berlins Opernfreund etwas geboten.

Verantwortlich gemacht wurden neben Kultursenator Peter Radunski (CDU) auch die künstlerischen Chefs der drei Häuser. „Nur Wagner, Wagner, Wagner in wiedergekäuter Form“ – damit zielte die Zeitschrift auf den Zweikampf, den sich Götz Friedrichs Deutsche Oper und Daniel Barenboims Staatsoper in Sachen Richard Wagner liefern. Auch Harry Kupfer, als Chefregisseur der Komischen Oper der dritte Berliner Opernpatriarch, kann sich da nicht ausnehmen – schließlich ist er es, der Barenboims Wagner-Exzesse an der Lindenoper in Szene setzt.

Doch der Berliner Wiederholungszwang erschöpft sich nicht im Wagner-Wahn. Die Zahl der Opern, die gleich auf zwei Spielplänen stehen, ist kaum zu zählen. Auf die „Zauberflöte“ gar verzichtet keines der drei Häuser. Etwa 50mal pro Spielzeit nudeln sie Mozarts letzte Oper ab. In den vergangenen Wochen war die öde Routine zeitgleich zu sehen – Gelegenheit, die drei Opernhäuser an einer Elle zu messen.

Zunächst also in die Deutsche Oper. Ein schmuckloser Nachkriegsbau, dessen Fassade der Volksmund angeblich als „Klagemauer“ verspottet. Zu Unrecht. Mit seinen luftigen Foyers ist der Bau immer noch ein Lichtblick in der städtebaulichen Wüste der Charlottenburger Bismarckstraße. Dahinter sieht es traurig aus: Über den „Generalintendaten und Chefregisseur“ Götz Friedrich, seit 17 Jahren im Amt, stöhnt hinter vorgehaltener Hand fast jeder. „Götzi“, schrieb neulich der Spiegel, sei „der Ötzi der Oper“.

Bei der „Zauberflöte“, 115. Vorstellung seit der Premiere 1991, führte nicht der Hausherr Regie, sondern der Kölner Intendant Günter Krämer. Dennoch: Am Anfang deutet alles auf Friedrichschen Größenwahn hin. Der Vorhang hebt sich, die Bühne ist bis zum letzten Quadratmeter angefüllt mit Statisten. Da verwundert es nicht, daß auch die „listige Schlange“ sogleich als bühnenfüllendes Monstrum daherkommt.

Immerhin, Krämer betont die totalitären Züge im Aufklärungspathos des Oberpriesters Sarastro, versetzt die Priesterschar ins China der Kulturrevolution. Ansonsten freilich hält auch er sich an sattsam bekannte Klischees. Papageno steckt zwar statt im gängigen Federkleid im nur wenig originelleren Clownskostüm, turnt aber unentwegt vor dem Orchestergraben herum und unterhält mit österreichischem Akzent das Publikum. Gewiß kein großes Opernerlebnis, eine solide Repertoirevorstellung. Bei Kartenpreisen zwischen 22 und 112 Mark zeigen die vorderen Reihen bedenkliche Lücken.

Gut eine Woche später in die gute Stube des Berliner Musiktheaters, die Komische Oper: im Vergleich zu den beiden Renommierbühnen ein Stadttheater im besten Sinne, für zwei der 50 Kritiker immerhin das „Opernhaus des Jahres“. Aus den schmalen Subventionen zaubert sie den solidesten Spielplan: Mit 178 Opernaufführungen in diesem Jahr läßt sie die Konkurrenz weit hinter sich. An der Abendkasse gibt es die Karten zum halben Preis, auch ohne Studentenausweis also für 20 bis 30 Mark Plätze im Parkett im kurios konstruierten Haus. Im anspruchslosen Foyer nippen Kulturbeflisse wie ältere Damen am Pausensekt.

Wie Götz Friedrich in Charlottenburg führt auch hier der Chefregisseur das künstlerische Regiment, inszeniert drei von fünf Opern pro Spielzeit selbst, auch eine neue „Zauberflöte“. Derzeit geht noch die alte Version über die Bühne, an diesem Abend zum 169. Mal seit der Premiere vor zwölf Jahren.

Kupfer versteht Mozarts letzte Oper ganz und gar politisch. Papageno trägt Schiebermütze, eine abgerissene Hose und billige Sandalen – ein Proletarier, Reverenz ans Ostberliner Publikum von 1986. Wie gewohnt läßt Kupfer die Versatzstücke des Bühnenbilds unentwegt hin und her wirbeln.

Nazi-Architektur, Kriegsruinen und Rokoko-Idyll verkörpern die „widersprüchlichen Momente“, die sich mit dem „revolutionären Aufstieg des Bürgertums“ verbanden – so das Programmheft, das die „Zauberflöte“ recht eindimensional als Bühnenfassung der Französischen Revolution versteht. Kirchenkritik inklusive: Die Königin der Nacht schwebt als Madonna vom barocken Hochaltar herein.

Solch billige Blasphemie braucht an der Staatsoper niemand zu befürchten. Aus DDR-Zeiten ist an dem einst langweiligen Haus wenig geblieben. Daniel Barenboim hat die Staatsoper in den vergangenen Jahren mit viel Geld auf internationales Niveau getrimmt – vor allem das Orchester, die Staatskapelle. Seither reist Barenboim mit seinen Musikern durch die Welt. Das bringt Einnahmen und spart Ausgaben, zu Hause hebt sich der Vorhang nur an jedem dritten Abend, 114 Mal in diesem Jahr.

Immerhin, mit einem ambitionierten Barockrepertoire hat das Haus so etwas wie ein eigenes Profil. Daß es das Zeug zur repräsentativen Hauptstadt-Oper hat, steht außer Frage. So auch bei der „Zauberflöte“, 67. Vorstellung seit 1994: schickes Publikum, viele Touristen. Kartenabreißer im Filzüberwurf, eine „Konditorei“ in friderizianischem Rokoko für die Pausen. Hier ist der Opernbesuch noch etwas Besonderes. Auch finanziell: Ein Platz mit akzeptabler Sicht kostet mindestens 60 Mark.

Die „Zauberflöte“ nimmt Regisseur August Everding, der Theatergläubige, auf fast naive Weise ernst. Als Attraktion ließ er Schinkels Bühnenbilder von 1816 nachbauen. Mit Effekten spart er nicht – Blitz und Donner, Feuer und Theaternebel. Doch die stärksten Momente der Aufführung sind die einfachen Auftritte – nicht zuletzt die Königin der Nacht unter dem berühmten Sternenhimmel.

Immerhin bietet die Staatsoper mit Dorothea Röschmann als Pamina die einzige wirklich überragende Sängerin der drei „Zauberflöten“ auf. Das Publikum indes applaudiert wie immer seinem eigenen Gedächtnis, beklatscht am heftigsten die Ohrwurm-Arien und Sympathieträger Papageno.

So verschieden die drei „Zauberflöten“ daherkommen – keine von ihnen ist so sensationell, daß sie den dreifachen Aufwand rechtfertigen würde. Die „Zauberflöten“-Orgien gehen, wie der Wagner-Zweikampf, zu Lasten des Repertoires. Raritäten oder moderne Stücke kommen in Berlin kaum häufiger auf die Bühne als in der Provinz. Neues, Frisches, Unkonventionelles hat im Dreikampf der Opern-Ötzis kaum eine Chance.

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