Bomben auf Bagdad, Grabenkämpfe in Washington

■ Ungeachtet der Bombenabwürfe auf Bagdad leitet das US-Repräsentantenhaus das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten und militärischen Oberbefehlshaber Bill Clinton ein

Während in Bagdad die Trümmer weggeräumt wurden, trat gestern das amerikanische Repräsentantenhaus zusammen, um zu zertrümmern, was vom inneren Frieden im Lande noch übrig ist. Während der Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen sich die Zielliste für die kommende Nacht vorlegen läßt, leitet das Abgeordnetenhaus das Verfahren zu seiner Absetzung ein – mit der Abstimmung über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton wird nicht vor Samstag gerechnet.

„Bring the war home“ lautete vor 30 Jahren der Schlachtruf des militantesten Flügels der Anti- Vietnamkrieg-Bewegung. Der Wunsch scheint in späte Erfüllung zu gehen. Der Bombenkrieg, mit dem Clinton den Irak überzieht, zeitigt Schockwellen in Washington. Seit den Tagen des Vietnamkriegs war die innenpolitische Lage nicht so gespannt, die Atmosphäre so vergiftet, das Mißtrauen so total, die Auseinandersetzung so vehement und die Positionen so unüberbrückbar wie heute.

Waren es am Mittwoch die Republikaner, die dem Präsidenten empört sein Timing vorwarfen – er habe ein ganzes Jahr lang eine Militäraktion gegen den Irak hinausgezögert, um sie dann just am Abend vor der Abstimmung über sein Amtsenthebungsverfahren zu starten – konterten am Donnerstag und Freitag die Demokraten, die den Republikanern ihr Timing vorwarfen: „Während unsere tapferen Männer und Frauen da draußen ihr Leben riskieren, wollen die Republikaner den Oberkommandierenden unserer Truppen absetzen. Das ist falsch, falsch, falsch!“ rief erregt der Fraktionsführer der Demokraten, Richard Gephardt, einer Kundgebung vor dem Capitol zu. „Falsch, falsch, falsch“! skandierte eine 3.000köpfige Menge, in der vereinzelt Plakate mit der Aufschrift „Stop the Bombing in Iraq“ zu sehen waren.

Derweil verabschiedete eine überwältigende Mehrheit des Repräsentantenhauses eine Resolution, die den Militäreinsatz billigte – fünf Abgeordnete, die den Motiven des Präsidenten nicht trauten, stimmten immerhin dagegen. „Wir müssen diese Sache hinter uns bringen“, erklärte der angehende Sprecher des Repräsentantenhauses, Bob Livingston, der Krieg sei kein Argument, die Demokraten hätten vor 24 Jahren auch das Amtsenthebungsverfahren Nixons eingeleitet, als US-Truppen noch im Felde standen. Es blieb der New York Times vorbehalten, darauf hinzuweisen, daß amerikanische Truppen schon seit sieben Monaten abgezogen waren, als das Verfahren gegen Nixon erwogen wurde.

Dann platzte am Vorabend der neuangesetzten Debatte noch eine Bombe. Die Zeitschrift Roll Call, ein Fachblatt, das das Geschehen in Amerikas Kongreß beobachtet, enthüllte, daß Bob Livingston vor Jahren ein ehebrecherisches Verhältnis gehabt hatte – genau wie der heute 72jährige Vorsitzende des Rechtsausschusses, Henry Hyde. Jetzt werden also gleich zwei republikanische Ehebrecher im Kongreß über den meineidigen Ehebrecher im Weißen Haus zu Gericht sitzen. „Ich hatte kein Verhältnis zu einer Mitarbeiterin, und ich habe darüber nicht unter Eid gelogen“, rechtfertigte sich der angehende Vorsitzende unter großem Beifall seiner republikanischen Fraktion. Die Republikaner verwiesen erneut empört auf das Timing. Diese Nachricht käme dem Präsidenten just am Abend vor der erneut angesetzten Abstimmung so gelegen, daß das Weiße Haus daran gedreht haben müsse. Es scheint, als finde der Krieg im Irak seinen Widerhall in Amerika als kalter Bürgerkrieg.

Während im und vor dem Capitol die Anschuldigungen und Gegenvorwürfe nur so flogen, erläutert im Pentagon Generalstabschef Hugh Shelton die amerikanische Zielplanung. Es gehe um die Zerstörung von Hauptquartieren und Kasernen – vor allem die der Republikanischen Garden. „Dies ist der größte Einsatz von Cruise Missiles in der Militärgeschichte“, kommentiert General Leutnant a.D. Perry Smith im National Public Radio. Er zweifle aber, daß damit die ABC-Waffen ausgeschaltet werden könnten. Die US-Zielplanung schließe Giftgas- und Biowaffenanlagen aus, um das Entweichen tödlicher Wolken zu vermeiden. „Die Angriffe gelten vor allem den Trägersystemen“, erläutert das Pentagon. „Trägersysteme sind nicht nur Flugzeuge und Raketen“, wendet General a.D. Galvin, ehemaliger Nato-Oberkommandierender, ein, „sondern auch Lastwagen und Autos, die so schwer zu finden und zu zerstören sind wie die Giftküchen.“

Meinungsumfragen melden, daß 74 Prozent der Amerikaner Clintons militärisches Vorgehen unterstützen. Aber es formierte sich auch Protest. Demonstrationen fanden in Berkeley, Oakland, San Francisco, San José, Chicago, Portland, Philadelphia und Madison statt, die größte in New York. Am Samstag wird im ganzen Land zu Demonstrationen aufgerufen. Aus Chicago brach am Donnerstag Kathy Kelley von der Organisation „Voices in the Wilderness“ mit Medikamenten nach Bagdad auf. Bei ihrer Rückkehr will sie sich wegen ihres Vergehens gegen das Embargogesetz stellen und eine Verhaftung oder Geldstrafe herausfordern. Peter Tautfest, Washington