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Der Autor als Geschichtendealer

■ Sound aus dem Ghetto, dritter Teil: Feridun Zaimoglu versammelt in „Koppstoff“ die Protokolle 26 deutschtürkischer Frauen, deren Wut auf den „Aleman“ keine Grenzen kennt

Sie wollen mich auf den Mund gefallen, aber ich bin 'ne Starkfrau“, sagt Nesrin (24) von Beruf „Rapperin und Streetfighterin“. Nesrin hat Wut, Wut auf „Toscana-Arschfickiges“ und „Kontofettes“, auf „Liberalpissetrinker“ und „Mildepralinenseele“. In ihren atemlosen Sätzen nimmt sie vorweg, was alle Sprecherinnen in Feridun Zaimoglus „Koppstoff – Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft“, antreibt: ein großer Zorn auf Deutschland und die „Alemannen“, nur mühsam zusammengehalten in einem Sprechen, das sich weder um die Grammatik noch um den Duden schert.

Seit nunmehr drei Jahren, seit dem Erscheinen von „Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“, ist Zaimoglu für die Sache der Kanaken und Kanakas unterwegs. In seinen Veröffentlichungen führt er vor, wie eine Sprache sich bereichert, wenn sie sich an einer anderen reibt. Wie das Deutsche durch die „Wortgewalt des Kanaken“ zu einem hybriden, fast barocken Redefluß gerät, der – ob man ihn nun mag oder nicht – in jedem Fall als beachtliches Formexperiment daherkommt. Um Literatur scheint es sich dabei dennoch nicht zu handeln. Mit einem Diktiergerät zeichnet der 34jährige Autor auf, was diejenigen erzählen, die sonst nicht gefragt werden: Angehörige der dritten Generation, Drogendealer, Rapper, Arbeitslose, Islamisten. Mit „Koppstoff“ kommen die Frauen dazu, die Prostituierte und die Gemüseverkäuferin, aber auch die Studentin oder die Dolmetscherin.

Deren Erzählungen transkribiert Zaimoglu in sogenannten „Protokollen“, wobei er auf ein „in sich geschlossenes, sichtbares, mithin ,authentisches‘ Sprachbild“ hinarbeitet. Der Autor bezeichnet sich bei Lesungen als „Öffentlichkeitsarbeiter“, und einer seiner Sprecher, der Exjunkie Ertan Ongun, Hauptfigur des 1997 erschienenen „Abschaum“, weist ihm die Rolle eines Drogenhändlers zu: „Ich geb' dir reinen Stoff. Du bist mein Dealer. Geh und verkauf das Zeug!“ Die Idee des Autors als Geschichtendealer ist nicht neu. Vor mehr als dreißig Jahren machten sich lateinamerikanische Autoren daran, die Lebensgeschichten der Deklassierten zu Papier zu bringen. Damals war Authentizität noch etwas, was anzuführen man sich nicht scheute, galt die Allianz der Intellektuellen mit dem einfachen Mann nicht als Anmaßung, sondern als Pflicht. Das Ergebnis war die Testimonialliteratur, hinter deren Altruismus eine Vielzahl von Problemen lauerte. Das Sprechen im Namen und im Auftrag eines anderen, vermeintlich Stimmlosen, erwies sich als tückisch. So sehr auch von einer Demokratisierung der Urheberschaft die Rede war, so sehr merkte man den Texten an, daß sie das inkriminierte Machtgefälle nolens volens fortsetzten. Ganz zu schweigen davon, daß das, was sich da als unverzerrtes Spiegelbild der Wirklichkeit aufführte, die eigene Literarizität mit einiger Macht verleugnen mußte.

Natürlich sind Zaimoglus Texte nicht deckungsgleich mit dem, was einst als Testimonialliteratur firmierte. Den Anspruch auf Repräsentation, vor dreißig Jahren noch lautstark formuliert, läßt er fahren. Für welche Community sollte er auch stehen, wo doch die Türken in Deutschland alles andere als eine homogene Gemeinschaft bilden? An einer „Ästhetik mit knallhartem politischen Anspruch“ liege ihm dennoch, und eine Lesung beendet er auch schon mal mit einem emphatischen „Der Kampf geht weiter!“. Wie seine Texte mit dem mündlichen Material umgehen, damit der Sound des Diktaphons auch in der Schriftform funktioniert, darüber äußert er sich zwar im Vorwort zu „Kanak Sprak“; daß die Transkription zwangsläufig die von ihm andernorts behauptete Authentizität untergräbt, bleibt jedoch unerwähnt. Überhaupt beschwört er mit reichlich Nachdruck den Schweiß und die Würde derer, die „in der Liga der Verdammten“ spielen, was manchmal ein bißchen viel des Ghettogrooves ergibt. Was unbändig scheint, ist ein streng komponierter Text; was vorgibt, direkt von der Straße ins Buch zu kommen, jongliert mit Fiktionen wie jeder Roman. Cristina Nord

Feridun Zaimoglu: „Koppstoff. Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft“. Rotbuch Verlag, Hamburg 1998, 135 Seiten, 19,80 DM

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