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Gewerkschaften lehnen Lohnzurückhaltung ab

■ Kritik an Einmischung von Wirtschaftsminister Müller in die Tarifautonomie nimmt zu

Bonn (rtz/taz) – Die Kritik der Gewerkschaften am Appell von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller zur Lohnzurückhaltung weitet sich aus. ÖTV, IG Metall und IG Medien bekräftigten am Montag, daß sie in den bevorstehenden Tarifrunden 5,5 bis 6,5 Prozent mehr Lohn fordern wollten. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel sagte, Müller müsse „ertragen, daß sein Ratschlag unbeachtet bleibt“.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Herbert Mai, forderte einen kräftigen Schub bei den Löhnen zur Stärkung der Binnennachfrage. „Wir haben 16 Jahre lang eine Politik erlebt, die den Arbeitnehmern in die Tasche gegriffen hat“, sagte Mai im ZDF. Eine Umkehrung sei nur gerecht, zumal die wirkliche Entlastung durch den Staat je nach Familienstand und Steuerklasse erst in den Jahren 2000 oder 2001 wirksam werde. Die Forderung der ÖTV von 5,5 Prozent Lohnerhöhung sei „sehr angemessen“. Die ÖTV ist Mai zufolge angesichts einer schlechten Stimmung unter den Arbeitnehmern auch auf einen Streik vorbereitet. Die Tarifverhandlungen beginnen am 29. Januar.

IG-Metall-Chef Zwickel erklärte in Frankfurt, Müllers Appell zu niedrigen Lohnabschlüssen falle bei der IG Metall nicht auf fruchtbaren Boden. „Wenn die Bundesregierung die von ihr favorisierte Nachfragepolitik ernst meint, muß sie froh sein über jedes Prozent Lohnerhöhung, das wir erkämpfen“, sagte Zwickel. Die IG Metall bleibe bei ihrer Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn. Die Industriegewerkschaft Medien (IG Medien) wies Müllers Appell als sachfremde Einmischung in die gewerkschaftliche Tarifpolitik zurück. „Die Unternehmer fahren seit Jahren fette Ernten ein“, erklärte die Gewerkschaft. Da bestehe für die Arbeitnehmer kein Grund zur Zurückhaltung.

Müller hatte am Wochenende an die Gewerkschaften appelliert, in den Tarifrunden zu berücksichtigen, daß der Staat mit der Kindergelderhöhung und der Senkung der Einkommensteuer bereits „ein Stück mehr in die Lohntüte getan“ habe. Schon am Sonntag hatte der DAG-Vorsitzende Roland Issen Müller aufgefordert, sich nicht in die Tarifgeschäfte einzumischen.

Der Wirtschaftsprofessor Rolf Peffekoven dagegen hält „Lohnerhöhungen in etwa bis zwei Prozent für gesamtwirtschaftlich vertretbar“. Höhere Tarifabschlüsse würden keinen Beitrag zur Lösung des Arbeitslosenproblems leisten, sagte der Professor, der als Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu den sogenannten fünf Wirtschaftsweisen zählt. Bei Tarifabschlüssen im Rahmen des Produktivitätsfortschritts von etwa zwei Prozent könnten dagegen 1999 200.000 bis 300.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

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