■ Querspalte: Fußball-Gott revisited
„Aus, aus, aus, das Spiel ist aus!“ und „Toni, du bist ein Fußball-Gott!“ – diese Sequenzen, die Herbert Zimmermann 1954 während seiner Reportage vom WM-Finale schrie und juchzte, sind wohl die bekanntesten in der Geschichte der hiesigen Sportberichterstattung. Aber wie war es möglich, daß sich auch den Nachgeborenen diese Sätze eingeprägt haben? Zumindest, was die Würdigung Tureks betrifft, drängt sich die Frage auf. Denn der Deutschlandfunk hat jetzt recherchiert, daß es den Ausspruch „Toni, du bist ein Fußball- Gott“ offiziell quasi nie gegeben hat: In den ARD-Archiven existiert lediglich eine Reportage-Version, in der der berühmte Satz ersetzt ist durch „Toni, du bist Gold wert.“
Gerd Krämer, 1954 ein Kollege Zimmermanns, geht davon aus, daß dieser den euphorischen Satz ausgewechselt hat, als er ein paar Tage nach dem Endspiel die Live-Reportage zusammenschnitt. Schuld an allem sei Theodor Heuss. Der damalige Bundespräsident hatte angemerkt, die Formulierung „Fußball-Gott“ gehe ein bißchen zu weit.
Mittlerweile werden im Fußball fleißig sogenannte religiöse Gefühle verletzt, ohne daß jemand versucht, die Geschichtsschreibung von solchen Äußerungen zu säubern. Bereits 1967, Heuss lag gerade mal vier Jahre unter der Erde, hing an einer Kirche in Dortmund ein Transparent mit der Aufschrift „Keiner kommt an Gott vorbei – außer Libuda“. Die Anspielung auf die überirdischen Dribbelkünste des Stürmers diente, leicht abgewandelt, 1997 als Titel für eine Libuda- Biographie. Darüber hinaus feierten in den 90ern ironiebegabte Düsseldorfer Fans einen veritablen Antifußballer mit dem Ausruf „Carlo Werner – Fußball-Gott!“ Und gelegentlich jammern Trainer nach einem Spiel, sie hätten nicht verloren, wenn ihnen „der Fußball-Gott“ hold gewesen wäre.
Zu untersuchen wäre noch, warum eigentlich in anderen Sportarten so selten Götter im Spiel sind. Von einem Eishockey- oder Formel-1-Gott war bisher jedenfalls noch nirgendwo die Rede. René Martens
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