: Konkurrenz der Kirchenmäuse
Großkonzerne spielen arme Städte und Länder gegeneinander aus, die mit Steuergeschenken und Subventionen um die Ansiedlung von Industrie wetteifern ■ Von Hermannus Pfeiffer
Hamburg (taz) – Chrysler betreibe „Unternehmenssozialismus“, beklagt der amerikanische Verbraucheranwalt Ralph Nader. Trotz einer Finanzreserve von mehr als neun Milliarden Dollar scheue der Automobilkonzern nicht davor zurück, Kommunen zu bedrängen, ihm Subventionen zu zahlen oder auf Steuern zu verzichten. Städte und Gemeinden zeigen wenig Widerstandskraft.
Auslöser für die Schelte des bekannten Verbraucherschützers ist eine geplante Werksansiedlung in Toledo, im US-Bundesstaat Ohio. Bereits 1997 hatte Chrysler angekündigt, seine Jeep-Fabrik dort auszubauen. Voraussetzung: Die Stadt solle die dafür benötigten Grundstücke aufkaufen, die Bewohner vertreiben und sich bei den Steuern zurückhalten. Nader taxiert den Deal zu Lasten der Stadtkasse auf 300 Millionen Dollar – Geld, das die Stadt Toledo besser für „Arbeit und Schulen und öffentliche Gebäude nutzen könnte“. Chrysler Deutschland wollte diese Zahlen nicht dementieren.
Damit Toledo finanziell schadlos aus dem Subventionssumpf herauskommt, müßten 4.900 Arbeitsplätze geschaffen werden. Dafür habe der Konzern jedoch keine Garantieerklärung abgegeben, so Nader. Die Gewerkschaften rechnen aufgrund der angestrebten Automatisierung der neuen Autofabrik mit bestenfalls 2.000 Jobs. Nader: „Die Lasten legt Chrysler auf dem Rücken der kleinen Geschäftsleute und Hausbesitzer ab, die ihre Steuern und städtischen Gebühren mit ihrem eigenen Geld bezahlen.“
Toledo steckte bei seiner kostspieligen Pro-Chrysler-Entscheidung in einer klassischen Zwickmühle: „Subventionen zahlen, oder der Konzern investiert woanders.“ So machte der Ministaat Alabama, er hat vier Millionen Einwohner, für eine Mercedes- Fabrik etwa 250 Millionen Dollar locker. Der „Kritische Aktionär“ Jürgen Grässlin, Bestseller-Autor eines Buches über Daimler-Boß Jürgen Schrempp, hält die Subventionierung des „hochprofitablen Unternehmens für so unnötig wie einen Kropf“. Solch ein Konkurrenzkampf der Kommunen und Bundesländer ist auch in Deutschland gang und gäbe. So wird DaimlerChrysler, einer der größten Industriekonzerne der Welt, seinen kleinen Stadtlieferwagen im brandenburgischen Ludwigsfelde bauen. Ab dem Jahr 2001 soll der „City Van“ auf den Markt kommen. Das bettelarme Land Brandenburg – es kassiert jährlich etwa sieben Milliarden Mark aus dem innerdeutschen Finanzausgleich – zahlt für die neuen Werkshallen einen Zuschuß von 218 Millionen Mark, mehr als ein Drittel der gesamten Investitionen.
„Die Standortentscheidung wurde möglich durch die Zusage des Landes“, erklärt DaimlerChrysler. Und auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Burkhard Dreher freut sich: „Der Standort Brandenburg konnte sich erneut erfolgreich im Wettbewerb behaupten.“
Die Gewährung von großzügigen Beihilfen ist nur scheinbar ein Geschäft zur allgemeinen Zufriedenheit: Konkurrenten und Verlierer in diesem Wettbewerb nach einem modernisierten Sankt-Florians-Prinzip sind andere Bundesländer, andere Städte oder der europäische Nachbar.
Der Dachverband der deutschen Kommunen hüllt sich zu dieser Frage in Schweigen. Es gebe „keine Beschlußlage“, erklärt Ewald Müller, Sprecher des Deutschen Städtetages in Köln, „das Präsidium hat sich zumindest in jüngster Zeit nicht mit diesem Thema befaßt“. Das liegt jedoch nicht am mangelhaften Problembewußtsein, sondern an der Unmöglichkeit, die verschiedenen Interessen von Kommunen und Städten unter einen Beschlußhut zu bringen. Dafür wäre nämlich eine 75-Prozent-Mehrheit in der Vollversammlung notwendig.
23 Milliarden Mark haben die Bundesländer im vergangenen Jahr an direkten Wirtschaftssubventionen aller Art gezahlt, die Gemeinden legten noch einmal über drei Milliarden oben drauf, zusätzlich flossen unmittelbare Bundeszuschüsse sowie EU-Gelder. Denn auch unter den Staaten Europas ist ein ähnlicher Wettbewerb um den Zuschlag bei Industrieansiedlungen entbrannt.
Schließlich verteilten die deutschen Bundesländer jährlich Steuergeschenke im Wert von 24 Milliarden Mark, steht im jüngsten Subventionsbericht der Bundesregierung. Das wirtschaftsliberale Kieler Institut für Weltwirtschaft kommt sogar zu noch deutlich höheren Zahlen: „Die Subventionen haben ein Ausmaß erreicht, das die Frage nach der Kompatibilität mit einer marktwirtschaftlichen Grundordnung aufwirft.“
Der Konkurrenzkampf der Kommunen tobt heftig: Milliardenbeträge werden den Konzernen und Firmen oft auch dafür geschenkt, daß sie nur wenige Kilometer weiterziehen: so etwa dafür, daß sie sich etwa statt in Hamburg im benachbarten schleswig- holsteinischen Norderstedt oder statt in Berlin lieber im brandenburgischen Ludwigsfelde ansiedeln.
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