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Vergebliche Suche nach dem einen Bild

■ Die Debatte um das Holocaust-Mahnmal ist nicht zu Ende, sie hat vielmehr gezeigt: Es gibt nicht das eine Bild, mit dem des Verbrechens, seiner Ursachen und Folgen gedacht werden kann

Fast wäre in zwei Wochen gebaut worden. Trotz aller Bedenken und Feuilletondebatten stand noch im letzten Frühjahr der 27. Januar 1999 für die Grundsteinlegung fest: Der Tag, an dem das Konzentrationslager Auschwitz 1945 durch die Alliierten befreit wurde, sollte mit dem Bau des Mahnmals für die ermordeten Juden in Europa zusammenfallen. So würden zugleich die Schuld der Deutschen und ihr Versuch der Erinnerung, vielleicht sogar Sühne symbolisiert. Auch wenn sich jetzt Kulturstaatssekretär Michael Naumann und der amerikanische Architekt Peter Eisenmann auf ein gemeinsames neues Konzept geeinigt haben sollen: Die Bedenken sind nicht ausgeräumt.

Von Beginn an wurde kritisiert, daß man den Holocaust nicht in einem Monument darstellen könne. Schon bei der ersten Auslobung 1995 hatte Walter Jens als Präsident der Akademie der Künste und Juryvorsitzender konstatiert: „Dem Massenmord mit einer ästhetischen Lösung nachzukommen, geht nicht.“

Trotzdem hatte sich damals die Jury aus 15 Künstlern, Architekten, Politikern und Historikern auf zwei Siegerentwürfe geeinigt: Eine 85 x 85 Meter große Stahlskulptur des Kölner Künstlers Simon Ungers und die 100 x 100 Meter große, begehbare Steinplatte der Berliner Künstler- und Architektengruppe mit Christine Jackob-Marks, Hella Rolfes, Hans Scheib und Rüdiger Stange. Während der erste Entwurf Mahnmals-Besucher mit meterhohen Stahlträgern konfrontieren sollte, in die Ungers die Namen aller Konzentrationslager schneiden wollte, sah das zweite Modell vor, die Steinplatte mit den Namen aller Juden zu gravieren, die dem Holocaust zu Opfer gefallen waren. Am Ende wurden beide Entwürfe von Helmut Kohl gekippt, der die Vorschläge als zu monumental empfand. Beide Sieger sind mittlerweile ebenso vergessen wie die insgesamt 526 anderen Entwürfe, die beim ersten Mal eingereicht worden waren.

Aus der Ablehnung durch den Kanzler hatte die Mahnmals-Initiative um die Journalistin Lea Rosh schnell gelernt. Als der Wettbewerb im Juli 1997 neu ausgeschrieben wurde, stand als Zusatz in der Auslobung, daß „den eingeladenen Künstlern die Kooperation mit einem Architekten empfohlen“ wird. Tatsächlich war man auf diversen Kolloquien zu der Ansicht gelangt, daß die Realisierung eines Mahnmals auch davon abhängt, wie das urbane Umfeld mitgestaltet wird. Entsprechend war die ursprüngliche Monumentalität beim zweiten Anlauf einer Betonung des öffentlichen Charakters gewichen – Information statt Überwältigung, stille Einkehr statt erhabener Größe.

Jochen Gerz plädierte für einen Ort der Diskussion; die Architektin Gesine Weinmiller wollte die Fläche mit einer ausgeklügelten Steinarchitektur gestalten, die aus der Obersicht einen Davidstern ergibt, und Daniel Libeskind schlug eine gezackte Mauer vor, deren Struktur auf das von ihm gebaute Jüdische Museum verweist.

Die meisten Befürworter fanden der US-Bildhauer Richard Serra und der Architekt Peter Eisenman. Ihr Entwurf besteht aus 2.000 Stelen, die sich wellenförmig auf dem Gelände erheben – als wäre Wind in ein Getreidefeld gefahren. Doch während Kohl diesmal begeistert war, lehnte Kanzler Gerhard Schröder auch diese Idee ab, weil sie ihm zu gigantisch erscheint. Nun also soll das Gedenkfeld verkleinert werden und durch ein Dokumentationszentrum ergänzt.

Der jetzige Akademie-Präsident György Konrád hätte als Gedenkstätte trotzdem lieber einen Park, und Eberhard Diepgen möchte das Mahnmal sowieso an anderer Stelle errichtet sehen, wo es besser ins Ambiente passe. Woche für Woche schickten BürgerInnen eigene Entwürfe an die Zeitungsredaktionen des Landes. Fast alle wünschten sich eine Mischung aus weitläufiger Flächenbebauung und Informationen über die Opfer. Die Frage, ob sich der Holocaust darstellen läßt, findet so eine klare Antwort: Nicht nur die Tat, sondern Ursache und Folgen müssen in Erinnerung bleiben. Dafür gibt es unzählige Bilder. Harald Fricke

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