: "Die PDS ist nicht Greenpeace"
■ Der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky über das Gefühl, geliebt werden zu wollen, über Ladendiebstähle, die Amnestiedebatte und die Krise der PDS vor ihrem heute in Berlin beginnenden Bundesparteitag
taz: Herr Bisky, waren Sie diese Woche schon einkaufen?
Lothar Bisky: Ja.
Haben Sie bezahlt?
Ich hoffe doch. Außerdem sind meine Taschen zugenäht.
Es scheint ja eine Spezialität von PDS-Fraktionschefinnen zu sein, Lippenstift und Wimperntusche mitgehen zu lassen, wie jetzt Caterina Muth. Hat Ihre Partei ein gestörtes Verhältnis zum Eigentum?
Nein. Die Eigentumsfrage ist umstritten, aber sie ist nur gesellschaftlich zu lösen. Individuelle Lösungen lehne ich ab.
Amnestiedebatte, der DDR- Spion Rainer Rupp, Ladendiebstahl, Steuerhinterziehung und jetzt der Wechsel des Vorstandsmitglieds Lutz Scherling zur SPD – macht Ihnen Ihr Job eigentlich noch Spaß?
Ich zahle keine Vergnügungssteuer. Ja, im Moment ist es schwierig. Aber ich bin auch härteverträglich. Trotzdem wünsche ich mir, daß bald Frühling wird.
Haben Sie in den letzten Wochen an Rücktritt gedacht?
Über Rücktritte redet man nicht, man tut es.
Aber Sie kandidieren auf dem Parteitag erneut für den Parteivorsitz.
Ja.
Ihnen wird eine gewisse Amtsmüdigkeit nachgesagt. Es heißt, Sie machen als PDS-Chef bestenfalls noch zwei Jahre.
Ich bin 1993 zum Parteivorsitzenden gewählt worden, und unser Statut sieht eine Befristung des Amtes auf acht Jahre vor. Insofern kann von Müdigkeit keine Rede sein. Aber daß ich mir ein Leben ohne Ämter gut vorstellen kann, es mir mitunter sogar wünsche, wird mir keiner verübeln. Es gibt Situationen, da treibt mich meine Arbeit Tag und Nacht um, so wie jetzt gerade. Dann bin ich nicht besonders heiter.
Die PDS will sich als Partei der sozialen Gerechtigkeit profilieren. Schlagzeilen macht sie aber nur mit Themen, die nach DDR riechen. Sind daran allein die bösen Medien schuld?
Wenn man selbst die Vorlagen für die Schlagzeilen liefert und die Schlagzeilen dann sogar noch ausbaut, sollte man den schwarzen Peter nicht den Medien zuschieben. Wir haben Fehler gemacht, das müssen wir offen zugeben.
Nennen Sie mal die drei Klopper, über die Sie sich am meisten geärgert haben.
Erstens die Verbindung der Amnestiedebatte mit der Forderung nach Haftentschädigung. Dann die Art und Weise der Diskussion des Falles Rainer Rupp sowie drittens die Tatsache, daß mit Caterina Muth eine junge, talentierte Politikerin einen solchen Fehler wie den Ladendiebstahl begangen hat.
Wie erklären Sie sich diese DDR-Nostalgie?
Ich muß mich an der Parteibasis sehr kritischen Diskussionen wegen unseres Briefes an Weizsäcker stellen. Viele fragen, warum wir uns gerade ihm gegenüber zum Unrecht in der DDR bekennen, warum wir uns überhaupt entschuldigen sollen. Natürlich verklären einige in der PDS dabei auch die DDR, aber ich habe nicht die Erfahrung gemacht, daß es in der Partei restaurative Tendenzen gibt. Die Leute wollen nicht zur DDR zurück.
Zurück zur DDR sicher nicht. Aber wenn die Genossen nicht verstehen, warum sie sich entschuldigen sollen, dann spricht das nicht für einen offensiven Umgang mit der DDR-Vergangenheit.
Die verstehen nicht, warum sie sich immer wieder entschuldigen sollen. Aber wenn es stimmt, daß wir in zwei Teilgesellschaften leben, in zwei völlig verschiedenen Kulturen, dann dürfen wir dabei nicht immer nur an den Osten denken. Eine Entschuldigung für das DDR-Unrecht, die wir auf dem Parteitag 1989 ausgesprochen haben, müssen wir ständig wiederholen, damit sie auch im Westen bekannt wird. Wenn wir so tun, als müßte jeder alles kennen und verstehen, was hier im Osten passiert, dann sind wir nicht besser als die, die wir im Westen kritisieren: nämlich arrogant – ost-arrogant.
Damit ist doch nicht zu erklären, daß die PDS wochenlang über nichts anderes diskutiert als über DDR-Funktionäre und Stasi- Spione.
Viele haben noch nicht begriffen, daß wir uns in Bonn jetzt in einer neuen Rolle befinden. Wir stehen vor einer Reihe neuer Fragen. Wir haben nicht mehr Kohl als Gegner, sondern eine rot-grüne Regierung, auf die wir uns erst noch einstellen müssen. Das bereitet uns Schwierigkeiten.
André Brie, der Vordenker Ihrer Partei, formuliert das viel härter: Die PDS sei völlig unfähig, die großen gesellschaftspolitischen Fragen aufzuwerfen.
Diese Kritik von Brie teile ich so nicht. Wir sind in der Lage, Antworten auf die großen gesellschaftlichen Fragen zu finden. Wenn wir dazu unfähig wären, dann müßten wir sagen: Laßt uns den Laden dichtmachen.
Auf dem Parteitag steht die Programmdebatte im Mittelpunkt. Soll das neue Programm die PDS für das Jahr 2002 auf eine Koalition mit der SPD in Bonn vorbereiten?
Nein. Wir müssen einige Fragen präziser fassen: Ob wir uns dem Ende der Arbeitsgesellschaft nähern, was heute soziale Gerechtigkeit ist, wie eine nachhaltige Entwicklung gestaltet werden kann, wie wir mit der Revolutionierung der Kommunikations- und Informationstechnik umgehen. Unsere alten Antworten dazu reichen einfach nicht mehr aus. Das ist der Grund für die programmatische Debatte und nicht, was die Sozialdemokraten gern in unserem Programm stehen hätten. Dann könnten wir ja gleich Lafontaine bitten, uns einen fertigen Programmentwurf zu schicken.
Wissen Sie, wo Bad Godesberg liegt?
Das liegt mir genauso nah oder fern wie Wandlitz.
Befürchten Sie etwa, daß die PDS mit ihrem neuen Programm den gleichen Weg geht wie die SPD auf ihrem Godesberger Reform- Parteitag 1959?
O Gott, nein! Das ist nicht der Weg der PDS. Daß einige böse Buben und Mädchen nach Bad Godesberg wollen, ist als Verdacht unbegründet. Die zweite SPD werden wir nie.
Sie formulieren die Probleme der PDS immer so behutsam, daß sich alle in der Partei dahinter verstecken können. Einige Reformer verlangen von Ihnen, die Widersprüche endlich schärfer auszutragen. Warum hauen Sie nicht einfach mal mit der Faust auf den Tisch?
Wem hilft denn die Faust? Da würde ich schon lieber mit dem Kopf auf den Tisch schlagen. Die PDS hat die Pluralität gewollt, also sollte sie auch nicht darüber ärgern, daß so plural diskutiert wird. Natürlich muß nach Debatten entschieden werden – aber nicht mit der Faust. Die Sehnsucht nach einem Parteiführer im alten Sinne, die verstehe ich, auch die Sehnsucht, geliebt zu werden, die Sehnsucht, so zu sein wie Greenpeace. Aber wenn die PDS das wirklich wollte, dann müßte sie sich einen anderen Parteivorsitzenden suchen. Interview: Jens König
und Patrik Schwarz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen