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Pinochet als Test für die britische Justiz

In der heute beginnenden neuen Runde im Fall Pinochet entscheiden die Lordrichter nicht nur über das Schicksal von Chiles Ex-Diktator, sondern auch über die Glaubwürdigkeit des britischen Rechtssystems  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Der Fall Pinochet geht heute in die nächste Runde. Sieben Richter des Londoner Oberhauses, Großbritanniens höchster Rechtsinstanz, müssen darüber entscheiden, ob der frühere chilenische Diktator Immunität gegen Strafverfolgung und Auslieferung genießt. Die spanische Justiz will den 83jährigen wegen Entführung, Folter und Mordkomplott anklagen und hat ein entsprechendes Auslieferungsgesuch gestellt.

Vorige Woche urteilten drei Lordrichter, daß mündliche Aussagen der chilenische Regierung sowie von amnesty international und anderen Menschenrechtsorganisationen beim Verfahren zugelassen sind. Die Anwälte von Augusto Pinochet haben im Vorfeld einen der Lordrichter abgelehnt: Lord Woolf hatte zwar seine Teilnahme an einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten von amnesty international abgesagt, nachdem er erfahren hatte, daß er für die Pinochet-Verhandlung vorgesehen war. Doch bereits die Absicht hatte ihn in den Augen der chilenischen Regierung diskreditiert. Lord Brown-Wilkinson, der oberste Lordrichter, sagte jedoch, Woolf hätte von sich aus auf die Verhandlung verzichtet.

Chiles Regierung argumentiert, daß ein britisches Gericht keine Rechtshoheit über Pinochet habe, da Chile ein souveräner Staat sei. Ihr Anwalt Lawrence Collins sagte, er sei „zweifellos einer der wichtigsten internationalen Fälle, der jemals vor ein englisches Gericht gekommen“ sei. In einer Petition an das Gericht erklärte die chilenische Regierung, sie wolle die Taten des Generals während seiner Amtszeit als Staatschef weder entschuldigen noch eine Untersuchung oder Anklage gegen ihn verhindern, solange dieser Prozeß in Chile stattfinde. Staatsanwalt Alun Jones, der die spanischen Interessen vertritt, legte Widerspruch gegen die Petition ein.

Der Fall Pinochet hat nicht nur Auswirkungen auf die Zukunft des Ex-Diktators, sondern auch auf die Glaubwürdigkeit des britischen Rechtssystems. Im November hatten fünf Lordrichter mit knapper Mehrheit bereits gegen Pinochet entschieden, doch das Urteil wurde später vom Oberhaus kassiert. In der Begründung, die am Freitag bekanntgegeben wurde, heißt es, einer der fünf Richter, Lord Hoffmann, sei möglicherweise befangen gewesen. Hoffmann hatte seine Verbindungen zu amnesty international verschwiegen. Er ist Direktor einer Wohltätigkeitsorganisation, die eng mit amnesty international zusammenarbeitet, in dessen Sekretariat außerdem seine Frau beschäftigt ist.

Seitdem wird in den Medien darüber diskutiert, ob diese Verbindungen tatsächlich ein Grund für Befangenheit sind, und ob man von Richtern verlangen kann, in allen Lebenslagen Neutralität zu bewahren. Der Kolumnist Hugo Young meinte gar, die anderen vier Richter müßten sich fragen lassen, warum sie nicht Mitglied von amnesty international seien.

Es war jedenfalls das erste Mal in der britischen Rechtsgeschichte, daß ein Urteil der höchsten Instanz angezweifelt, geschweige denn aufgehoben wurde. Bis dahin war das Wort der Lordrichter Gesetz. Sollte das Gericht nun für den chilenischen Ex-Diktator entscheiden, wird nur allzu deutlich, daß englisches Recht, das ja Fallrecht ist, von der zufälligen Zusammensetzung des Gerichts abhängt. Je nachdem, welche der zwölf Lordrichter einen Prozeß leiten, könnten unterschiedliche Präzedenzurteile herauskommen.

Zu diesem antiquierten RechtsSystem gehört auch der Lordkanzler: Er sitzt zahlreichen Kabinettsausschüssen vor, macht Gesetze und setzt sie um. Er ist Legislative, Exekutive und Judikative – so ähnlich wie General Augusto Pinochet, als er noch Diktator war.

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