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Wohin nur mit den Opfern?

Drei Monate nach dem Wirbelsturm „Mitch“ haben sich in Honduras die Gegensätze zwischen Arm und Reich noch einmal drastisch verschärft  ■ Aus Tegucigalpa und Choluteca Toni Keppeler

Aus fast jedem der 140 Ladengeschäfte dudelt Musik. In den Schaufenstern nur das Feinste: französische Parfüms, irischer Whisky, italienische Schuhe und Kravatten oder High-Tech und Spielzeug aus den USA. Drum herum Kinos und teure Restaurants. Das drei Stockwerke hohe Einkaufszentrum „Multiplaza“ im Nobelviertel „Lomas de Mayab“ in Honduras' Hauptstadt Tegucigalpa wurde zu Weihnachten eröffnet. Hier sieht es so aus, als habe es nie einen Wirbelsturm „Mitch“ gegeben.

Doch nur ein paar hundert Meter weiter sind auf den Hängen, die vor bald drei Monaten ins Tal des Rio Choluteca rutschten, schon wieder die ersten Hütten aus Wellblech und Karton entstanden. Die Menschen haben das Nötigste wieder aus dem Schlamm gezogen und sich eingerichtet. Noch armseliger als zuvor, aber immerhin. Bis zum Mai wird es voraussichtlich nicht regnen. Bis dahin hält der Karton, und bis dahin hält auch der Hang.

Doch viele haben es so weit noch nicht gebracht. 35.000 Menschen sind noch immer in Notunterkünften untergebracht. Dort kommen zwar regelmäßig Lebensmittellieferungen an, und auch eine minimale ärztliche Versorgung ist gewährleistet. Doch niemand weiß, wohin sie gehen sollen. Die meisten Übergangslager sind in öffentlichen Schulen untergebracht, und Ende Januar beginnt das neue Schuljahr. Entweder werden die Menschen dann auf der Straße leben oder irgendwo ein ungenutztes Gelände besetzen. Und ungenutzt sind in Tegucigalpa nur sogenannte Risikozonen.

Die schmale Mittelschicht des Landes wurde vom Hurrikan kaum betroffen. Die meisten mußten weges des Sturmes nur Unannehmlichkeiten ertragen. Etwa, weil die Wasserversorgung in ihren Vierteln zum Teil für mehrere Wochen ausgefallen war. Die noch schmalere Schicht der Reichen wurde nicht einmal davon gestört. Ihre Villen verfügen über riesige unterirdische Zisternen.

Vor „Mitch“ lebten rund 80 Prozent der Honduraner in Armut. Sie sind noch ärmer geworden, noch mehr Menschen leben in absolutem Elend. Die Arbeitslosenstatistik ist ein Indiz dafür. Vor „Mitch“ wurden amtlich 32 Prozent Arbeitslose angegeben, jetzt sind es 44 Prozent. Die Zahl ist sicherlich geschönt. Denn nach Angaben der honduranischen Zentralbank wurden in der Landwirtschaft 800.000 Arbeitsplätze zumindest vorübergehend vernichtet. Bei einer arbeitsfähigen Bevölkerung von nicht einmal drei Millionen Menschen müßte allein dieser Sektor die Quote um knapp dreißig Prozentpunkte nach oben treiben.

Dole und Chiquita bauen Arbeitsplätze ab

Die beiden großen US-amerikanischen Bananen-Gesellschaften Chiquita und Dole, die große Teile des Nordens beherrschen, haben alle ihre Saisonarbeiter entlassen und die Festangestellten auf unbestimmte Zeit freigestellt. Viele von ihnen, fürchten Gewerkschafter, werden nicht mehr eingestellt, wenn die Plantagen wieder aufgebaut sind. „Die setzen jetzt Dinge um, gegen die wir zehn Jahre lang gekämpft haben“, sagt Juan Fúnez, der Vorsitzende der Bananen-Arbeitergewerkschaft von Chiquita. Unter anderem soll nach dem Wiederaufbau die Arbeit anders, sprich intensiver organisiert werden. Und das bedeutet Abbau von Arbeitsplätzen. „Aber was sollen wir tun?“ fragt Fúnez. „Sollen wir streiken?“ Wo keine Arbeit ist, gibt es auch keinen Streik.

Der Konzern sieht sich selbst ganz anders. „Die Gesellschaft hat bisher große soziale Verantwortung gezeigt“, sagt Jimmy Zonta Sing, Personalchef im Chiquita- Büro der Provinzstadt La Lima. Die Arbeitslosen durften die verfaulten Bananen-Stauden auf den zerstörten Plantagen kostenlos einsammeln und an ihre Haustiere verfüttern. Und jeder Freigestellte kann sich alle zwei Wochen einen Kredit von vierzig Dollar zum Überleben abholen.

„Das nützt mir gar nichts“, sagt Dolores Rojas. Vor dem Sturm hat die alleinstehende Mutter dreier Kinder Bananen für Chiquita verpackt. Jetzt bettelt sie lieber, als das Kreditangebot ihres früheren Arbeitgebers anzunehmen. „Ich könnte das Geld nie mehr zurückbezahlen.“

Gut 33 Millionen Kisten zu je 18 Kilo exportierten die beiden Bananen-Riesen 1997. 1999 sind drei Millionen Kisten angepeilt. Chiquita will zunächst nicht einmal die Hälfte seiner 7.000 Hektar bepflanzen. Der Weltmarkt für Bananen ist ohnehin übersättigt. Und für 3.500 Hektar braucht man deutlich weniger Arbeiter als für 7.000. „Wir sind in ständiger Alarmbereitschaft“, sagt der Gewerkschafter Mauro González. „Und wir behalten uns das Recht vor, Ländereien zu besetzen, die von Chiquita oder Dole nicht mehr bebaut werden.“

Auch zwischen sechzig und siebzig Prozent der Mais- und Bohnenernte gingen verloren, genau wie das Saatgut. Noch mindestens bis August wird Honduras von Lebensmittelhilfe abhängig sein. Sieben Hungertote wurden bislang offiziell bestätigt. Doch das liegt weniger am Mangel. Denn im Prinzip sind Lebensmittel vorhanden. Nach amtlichen Angaben verfügte das Land Ende Dezember über Maisreserven für einen Monat. Die Bohnen reichten für drei Monate. Zudem hat die Regierung angekündigt, sie werde 6.000 Tonnen Mais und 1.350 Tonnen Bohnen importieren. Das Problem ist meistens die Verteilung.

Der Atlantikhafen von Cortez, wo die meisten Hilfslieferungen ankommen, sieht aus wie das Lager einer Containerfabrik. Zum Teil dreistöckig sind die Behälter übereinander gestapelt. Sie liegen zum Teil schon seit Wochen fest. Der Staat nämlich verfügt über kaum eigene Transportmittel. Private Lastwagenfahrer verlangen zwischen 500 und 800 Dollar für eine Fuhre. Das sind Kosten, die bei den Spendern nicht auf der Rechnung standen.

Vor allem wegen der Schäden in der Landwirtschaft wird 1999 für Honduras ein verlorenes Jahr werden. „Mit sehr viel Glück“, sagte der Staatsminister im Präsidentenamt, Gustavo Alfaro, Ende vergangenen Jahres, „werden wir ein Nullwachstum erreichen.“ Voraussetzung dafür sei jedoch, so Entwicklungsminister Moises Starkman, „daß uns 65 Prozent der Auslandschulden erlassen werden“.

Honduras hat internationale Verbindlichkeiten von rund 4,3 Milliarden Dollar. Knapp 1,4 Milliarden davon sind bilaterale Schulden. Einzelne Länder wie Frankreich haben eine Streichung der Schulden zugesagt. Der Pariser Club, ein Forum der Gläubiger- staaten, hat ein Schulden-Moratorium von drei Jahren eingeräumt. Zudem gibt es Finanzierungszusagen über rund drei Milliarden Dollar. Vorher kommt freilich in diesen Tagen eine Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) ins Land, um die sogenannten Strukturanpassungsmaßnahmen festzulegen, die Bedingung für neue Kredite sind.

Die Regierung machte schon einmal gut Wetter und kündigte die Privatisierung der Telefongesellschaft und der vier Flughäfen des Landes an. Das Rezept ist bekannt: ein noch schlankerer Staat und noch mehr Ausrichtung auf die Exportwirtschaft. Letzteres bedeutet mehr Fruchtplantagen und mehr Maquilas, in denen importierte Halbfertigprodukte weiterverarbeitet und dann wieder exportiert werden. Im Land selbst bleiben nur Hungerlöhne.

Mitch-Opfer fordern sicheres Bauland

Unter solchen Vorgaben ist kaum zu erwarten, daß sich das Los der Armen in absehbarer Zeit lindern wird. Die rund 6.500 Toten und die etwa 8.000 seit dem Wirbelsturm spurlos Verschwundenen, die alleine in Honduras registriert wurden, spielen inzwischen kaum mehr eine Rolle.

Ende Dezember und Anfang Januar war es in Tegucigalpa zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Mitch-Geschädigten gekommen, die sich als Straßenhändler in der Innenstadt niedergelassen hatten. Und Mitte Januar krachte es in der Provinzstadt Choluteca im Süden.

Die Stadt wurde während des Unwetters vom Rio Choluteca zur Hälfte überflutet. Tagelang war sie von der Außenwelt abgeschnitten. Noch heute sind die Flußufer von unbewohnbaren Ruinen und Müllbergen gesäumt. Rund 3.500 Menschen sind weiterhin in den zu Notlagern umfunktionierten Schulen zusammengepfercht. Die Brücke der Überlandstraße in Richtung Tegucigalpa ist notdürftig wieder hergerichtet. Am 19.Januar kam es dort zu einer Straßenschlacht.

Ein Protestzug von gut tausend Obdachlosen näherte sich an diesem Tag der Brücke. Bevor er ankam, fiel eine Hundertschaft von Elitepolizisten mit Tränengasgranaten und Schlagstöcken über sie her. „Die Spezialeinheit mußte verhindern, daß sie die Brücke besetzen“, sagte Polizeisprecher Pablo Zapata zur Begründung.

Die „Mitch“-Opfer wollen nicht mehr nur Versprechungen hören, sondern in sicherer Entfernung vom Fluß Land zugewiesen bekommen, um sich dort ihre Hütten zu bauen. Doch das Hügelland rund um Choluteca gehört großen Viehzüchtern, und die geben nicht gern etwas ab. „Es nicht so, daß wir nichts für diese Leute tun wollen“, sagt Bürgermeister Juan Guevara. „Aber die wollen, daß wir es sofort tun.“

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