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Herzog will kein feiges Volk

Am Holocaust-Gedenktag fordert Bundespräsident Herzog eine rasche Entscheidung über das geplante Mahnmal. Thierse verspricht überzeugendes Votum  ■ Aus Bonn Thorsten Denkler

Einen baldigen Entschluß über das Berliner Holocaust-Mahnmal hat Bundespräsident Roman Herzog als Hauptredner der Feierstunde des Bundestages zum zentralen Holocaust-Gedenktag angemahnt. Herzog lobte die „lange, auf weite Strecken außerordentlich ernsthafte Debatte“, die es um das Mahnmal gegeben habe. Jetzt aber müsse es bald eine „tragfähige Entscheidung“ geben. „Wir Deutschen müssen das Mahnmal um unser selbst willen bauen“, betonte Herzog, „nicht für das Ausland oder als Demonstration dauerhafter Schuld.“ Über das zentrale Berliner Mahnmal hinaus müsse es über das ganze Land verteilt Stätten der Erinnerung geben. Überall in Deutschland habe es Szenen des Schreckens gegeben, nicht allein in Berlin.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) äußerte die Hoffnung, daß das Votum des Deutschen Bundestages zum Mahnmal „überzeugend“ sein werde. Er versicherte, der Bundestag werde sich dem Thema auf „verantwortliche Weise widmen“. Die Diskussion der vergangenen Monate wertete er als „Zeichen für die Stärke der parlamentarischen Demokratie“. Allerdings warnte Thierse vor einer Kultur des „verordneten“ Gedenkens. Die Sorge um die Erinnerung dürfe nicht in formeller Ritualisierung erstarren.

Mit Blick auf den Streit zwischen dem Schriftsteller Martin Walser und dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, sagte Herzog, die vergangenen Monate hätten gezeigt, daß eine bleibende Form des Erinnerns noch nicht gefunden sei. Herzog warnte: „Wer je einen Gedanken an ein Ende des Erinnerns erwogen hat, der sollte davon so schnell wie möglich ablassen.“ Der Versuch, die Erinnerung auszublenden, sei nur „eine besondere Form intellektueller Feigheit, und Feigheit ist das letzte, was ich von meinem Volk erleben möchte“, so Herzog wörtlich.

Walsers Rede sei kein Plädoyer für das Vergessen gewesen. Vielmehr sollte sie eine „wichtige Auseinandersetzung in unserer Öffentlichkeit provozieren“, sagte Herzog. Er nahm Bubis ausdrücklich in Schutz. Ihm, der die Schrecken der Lager am eigenen Leibe erfahren und Angehörige verloren habe, müsse jedes Recht zugestanden werden, in Fragen der deutschen Geschichte empfindlich und auch leidenschaftlich zu reagieren. „Ignatz Bubis ist ein deutscher Patriot“, stellte Herzog fest.

Herzog rief die Jugend auf, sich stärker in die Diskussion um die deutsche Vergangenheit einzumischen. Gelinge es, die Jugend mehr in die Diskussion einzubinden, habe Erinnerung eine Zukunft. Im Anschluß an die Gedenkstunde stand denn auch ein Diskussionsforum mit 180 Jugendlichen auf dem Programm. Bundeskanzler Schröder (SPD) stellte unterdessen eine baldige Regelung für NS- Zwangsarbeiter in Aussicht. Er wolle rasch zu einer gerechten Lösung kommen, so Schröder.

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