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Die Macht der Symbolik

■ Der mögliche Umzug des Jüdischen Krankenhauses vom Wedding in die Gebäude des Krankenhauses Moabit, den der Koalitionsausschuß vorgeschlagen hat, erhitzt die Gemüter

Beschlossen ist nichts, spekuliert wird viel: Ob das Jüdische Krankenhaus im Wedding in zwei Jahren in die Gebäude des Krankenhauses Moabit umziehen muß, wird in der nächsten Zeit zwischen den verschiedenen Trägern und dem Senat womöglich noch auf das schärfste diskutiert werden. Schon gestern waren Unmut und Emotionen in der Umzugsfrage nicht zu überhören: „Ich finde es unpassend, daß Herr Diepgen eine Drohgebärde annimmt und uns dringend rät, uns für Moabit zu entscheiden“, sagte der Ärztliche Leiter Uri Schachtel. Schließlich sei das Jüdische Krankenhaus das einzige in ganz Deutschland. Es sei zudem die einzige jüdische Institution, die sogar wärend der Nazizeit weiterhin bestanden habe.

Im Dritten Reich wurden Berliner Juden nur hier stationär versorgt. In einem Teil der Klinik richteten die Nazis aber auch ein Sammellager für Juden ein, die von hier aus deportiert wurden. Der damalige Klinikdirektor selbst, so heißt es in der Krankenhauschronik, wurde „gezwungen, über Deportationen zu entscheiden“.

Heute werden in dem 1914 erbauten Krankenhaus Menschen aller Konfessionen versorgt, wobei der jüdische Glaube eine besondere Rolle spielt. Die Ärzte führen rituelle Beschneidungen der männlichen Babys durch, und die Patienten können koscher essen. Das Jüdische Krankenhaus ist zudem verpflichtet, jeden Patienten mosaischen Glaubens auch dann aufzunehmen, wenn der Kranke schon in einer anderen Klinik ein Bett gefunden hat. „Wir wollen für die Jüdische Gemeinde, die durch den Zuzug der Juden aus Osteuropa immer größer wird, eine Heimat bieten“, erklärte der stellvertretende Verwaltungschef Gerhard Pann.

Diese Heimat würde der Koalitionsausschuß aus Kostengründen nun gerne verlegen: Da das Jüdische Krankenhaus laut Kieler Krankenhausgutachten einen Investitionsbedarf von rund 28 Millionen Mark hat, Moabit andererseits gut saniert ist, erwägt die Große Koalition die Verlegung der Klinik oder auch des DRK- Krankenhauses in der Drontheimer Straße nach Moabit. Der Hintergrund: Um die Kosten für die Krankenkassen möglichst schnell zu senken, fordern diese seit langem die Schließung ganzer Kliniken. Der Standort an der Turmstraße würde dann erhalten bleiben, das Budget der Klinik aber eingespart. „Ist das Geschichtsbewußtsein wirklich 28 Millionen Mark wert?“ fragt der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Hans-Peter Seitz, der den Kompromiß mit ausgehandelt hat. „Ich bitte das ernsthaft zu prüfen.“

Der Präsident der Ärztekammer, Günther Jonitz, ist zwar weiterhin gegen die mögliche Schließung von Moabit, das bislang gemeinsam vom Land und der Diakonie getragen wird, aber er sieht in dem Plan der Koalition auch einen Reiz: „Ein gemeinsames Krankenhaus in jüdischer und christlicher Trägerschaft hätte eine extreme Symbolkraft, die Berlin gut anstehen würde.“ Der Bündnisgrüne Bernd Köppl dagegen hält den Vorschlag für „einen Schließungsbeschluß durch die kalte Küche“. Die Geschäftsführerin des Krankenhauses Moabit, Helga Lachmund, dagegen scheint eher verwundert zu sein: „Das macht auf mich alles einen ungeordneten Eindruck.“ Annette Rollmann

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