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Wir wollen Fragen stellen können

■ Mahnmal-Debatte: Es geht bei ihr vor allem auch um das Selbstverständnis der jungen Generation nach der deutschen Einheit

Wir nehmen das „Privileg der Verantwortung“ an. Bundespräsident Roman Herzog hat in seiner Rede anläßlich der Befreiungsdatums des Konzentrationslagers Auschwitz (27.1.) den Stab für die Frage nach der Zukunft der Vergangenheit an unsere Generation weitergegeben. Diese Verantwortung lag bis heute bei den Alten und den 68ern.

Am selben Tag hätte auch der Grundstein für das zentrale Holocaust-Mahnmal in Berlin gelegt werden sollen. Die Debatte um dieses Mahnmal, die im sogenannten „Eisenman 3“-Entwurf ihr scheinbares Ende fand, bringt unsere jüngste Geschichte wieder zu- rück in die Gegenwart. Doch hat Geschichte im Museum Zukunft? Markiert der mühsame Kompromiß zwischen Schröders Kulturbeauftragten Michael Naumann und dem New Yorker Architekten Peter Eisenman nicht vielmehr einen endgültigen, halb medialen und halb musealen Schlußstrich der deutschen Auseinandersetzung mit ihrem historischen Erbe? Ein Erinnerungshaus für lauwarme Herzen und lauwarme Köpfe?

Wo stünden wir ohne den Holocaust in der Welt, fragte Kanzler Schröder jüngst während der Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin. Der Holocaust als Standortnachteil der Deutschen? „Ein Dichter darf so etwas sagen“, murmelte Schröder, als Martin Walser das Mahnmal eine „Monumentalisierung der Schande“ nannte. Aber ein deutscher Kanzler? Für was stehen Schröder und Naumann? Für einen geschichtslosen Futurismus um den Potsdamer Platz oder für die pädagogische 68er- Generation? Unsere Generation will sich weder als Schulklasse herumführen und belehren lassen, noch will sie folgenlos durch das Internet zappen und Völkermorde beobachten. Naumanns Vorschlag, das Mahnmal mit einem „Genocide Watch Institute“ zu kombinieren, relativiert die Einzigartigkeit der Schoah und führt so (unbeabsichtigt?) zu einer Entschuldung der deutschen Geschichte.

Nein, wir wollen nicht dem Rest der Welt beweisen, daß heute immer noch ein Holocaust nach dem anderen stattfindet. Naumanns Kombi-Projekt ist die Idee des musealen Klassenzimmers der Nation. Durch ein 200 Leute fassendes McMedia-Kino mit Spielberg- Videos und Schoah-Souvenirs degradiert es Eisenmans Stelenfeld zum Pausenhof. Ablaßhandel und gutes Gewissen statt Geschichte? Mit Klezmer-Konzert und Stetl- Feeling? Bibliotheken, Ausstellungen, Videos mit Holocaust- Überlebenden? Aber bitte nicht im Kino- und Belehrungsstil.

Wir wollen Fragen stellen können und nicht festgelegte Antworten hören. Der Holocaust als Mahnung gehört nicht ins Archiv, sondern ist vor allem Aufforderung zur Selbstreflexion und zur Erfahrung der Geschichte am eigenen Leibe. Staatlich vorgegebene Erklärungen können nur trivial sein. Daran ändert auch die Delegierung der Verwaltung und somit der Verantwortung für das Multiplex- Mahnmal an das Jüdische Museum nichts. Die jüdische Verwaltung der deutschen Verantwortung ist nicht das richtige Instrument für die Versöhnung zwischen den Erben der Erinnerung.

Kanzler Schröder will, daß wir „gerne“ in die Erinnerungsstätte gehen. Aber nur was stört und provoziert, bleibt auch in Erinnerung. Museum und Mahnmal sind für uns weder private Gewissensangelegenheit noch staatliche Veranstaltung, sondern Aufforderung und Ort zur Auseinandersetzung mit der eigenen Identität im Spannungsfeld von Individuum und Kollektiv. Das Mahnmal setzt Erinnerung voraus und zwingt dazu, Lehren auf eigene Initiative zu suchen. Weder Museum noch Mahnmal dürfen daher zum Gruppen- oder Massenerlebnis verkommen. Es soll weder Führungen noch Veranstaltungen geben. Mahnmal und Museum sollten Orte des Schweigens, der Stille und des Zweifels sein. Orte der Störung, der Provokation und nicht der beruhigenden Antworten.

Liegt die Stärke des Stelenfeldes von Eisenman (“Eisenman 2“) nicht gerade darin, daß sie der öffnenden Frage den Vorrang vor abschließenden Antworten gibt – Antworten, die Naumann belehrungsversessen im Museum abstellen will? Vielleicht ist es deshalb unsere vom Ende des Kalten Krieges und dem Verlust der großen Erzählungen geprägte „postmoderne“ Generation, die hier widersprechen sollte. Haben uns die letzten 60 Jahre nicht gezeigt, daß das Diktat fragloser Eindeutigkeit Menschen in ihrer Verschiedenheit verachtet?

Es geht bei diesem Mahnmal um eine Grundsatzentscheidung zwischen „Fragen“ und „Antworten“. Der Fortschrittsoptimismus der Aufklärung, der auf eine einzige perfekte, rationale (und damit allgemeingültige) Moral zusteuerte – führte der nicht direkt zur „Endlösung“ in Auschwitz? Lieferte nicht die Wissenschaft den theoretischen Überbau zum Rassenwahn? Waren es nicht aufgeklärte Ideen von Hygiene und Gesundheit, die zur Vorstellung vom verseuchten Volkskörper führten? War es nicht die aufklärerische Figur der Nation, die sich in der Utopie eines arischen Reiches selbst verwirklichen wollte? War der Holocaust somit nicht auch eine Option der Aufklärung? Reste dieser Denkmuster finden sich auch heute im Fortschrittsglauben. Immer stand dahinter der Anspruch, definitive Wahrheiten und Lösungen finden zu können.

Mit diesem Mahnmal aber könnte Deutschland versuchen, ohne vorgegebene Eindeutigkeiten zu leben. Deshalb sollte sich das Museum dem offenen Konzept des Stelenfeldes unterordnen. Das Mahnmal als Bekenntnis zur Selbstreflexion darf nicht durch das Beton gewordene Museum als Geschichtsseminar verdrängt werden. Das Mahnmal könnte die Debatte über deutsch-jüdische Verkrampfungen und Ängste hinaus erweitern und Fragen an die aufgeklärte Moderne und Zukunft ermöglichen. Dies wäre eine klare Absage an einen „Schlußstrich“ jedweder Art: Das Mahnmal verweist uns als Frage auf das Geburtsrecht des modernen Menschen, seine Verantwortung. Was, wenn nicht das Mahnmal, kann diese unaussprechlichen Fragen einbeziehen? Wo, wenn nicht hier in der Mitte Berlins? Wer, wenn nicht unsere Generation? Und wann, wenn nicht jetzt?

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