Der langsame Niedergang

Die schottische Ölindustrie bangt um Investitionen und fürchtet die Konkurrenz aus Kuwait & Co. Liegt die Zukunft in den erneuerbaren Energien?  ■ Aus Aberdeen Ralf Sotscheck

Aberdeen ist eine reiche Stadt, das merkt man sofort: prächtige Villen in den Vororten, intakte Häuser in der Innenstadt, Kunstgalerien, Museen, exklusive Restaurants. Niemand bettelt. In den Parks und Gartenanlagen wachsen 17 Millionen Blumen, die Stadt wird deshalb „die Blume Schottlands“ genannt.

Aberdeen im Nordosten Großbritanniens ist die Ölhauptstadt Europas, Großbritannien ist seit 17 Jahren Selbstversorger. In Schottland arbeiten 130.000 Menschen in der Ölindustrie, 70.000 davon in Aberdeen – das ist jeder fünfte. Die Arbeitslosigkeit liegt unter zwei Prozent, kaum eine andere Region im Vereinigten Königreich hat eine solch niedrige Zahl aufzuweisen. Seit der Entdeckung des Nordseeöls Anfang der siebziger Jahre interessieren die wirtschaftlichen Entscheidungen in London oder Edinburgh wenig in Aberdeen, wichtiger sind Ereignisse in Kuwait oder dem Golf von Mexiko, denn in Aberdeen regieren die internationalen Ölkonzerne.

Deshalb geht in der Stadt nun die Angst um. Der Ölpreis ist in diesem Winter bereits mehrmals unter zehn Dollar pro Barrel von 159 Litern gefallen, so niedrig war er seit 1986 nicht mehr. Der Durchschnittspreis für Nordseeöl lag 1998 bei 13,14 Dollar. Schuld an dem Preisverfall ist die schwache Nachfrage aufgrund des milden Winters, die Asienkrise sowie die Zunahme der Welterdölförderung auf rund 75 Millionen Barrel pro Tag – die Welt schwimmt im Öl.

Noch macht sich in der Ölindustrie keine Panik breit, denn auch die Produktionskosten sind in den vergangenen Jahren erheblich gesunken. Selbst bei einem Preis von zehn Dollar pro Barrel sind die meisten Nordsee-Ölfelder noch rentabel. Die Erschließung neuer Felder lohnt sich bei einem solchen Preis jedoch nicht, sagt John Wils, Sprecher der schottischen Ölindustrie. „Wir konkurrieren mit anderen Regionen in der Welt um die Investitionen der internationalen Ölkonzerne“, sagt er. „Unsere Produktions- und Entwicklungskosten sind vergleichsweise hoch. Es liegt also in unserem Interesse, die Kosten zu senken.“

Bis zum Jahr 2002 sollen die Förderkosten auf acht Dollar pro Barrel gedrückt werden, langfristig sogar auf sechs Dollar. Allerdings waren die Investitionen in Forschung und Entwicklung neuer Technologien in der Ölindustrie bisher sehr niedrig. Die Ölkonzerne reagieren auf den Preisverfall statt dessen mit verstärkter Zusammenarbeit und Fusionen, um Kosten zu sparen – vor allem durch Entlassungen. Nach dem Zusammenschluß von BP und Amoco wurden 6.000 Leute entlassen, 200 davon in Aberdeen. Weitere Fusionen und Jobverluste stehen bevor, zum Beispiel bei Exxon und Mobil, Total und Petrofina, Lasmo und Enterprise Oil. Aber auch Shell, Amerada Hess, Phillips Petroleum, Texaco und eine ganze Reihe von Bohrfirmen haben Leute entlassen.

Das Nordseeöl reicht noch bis zum Jahr 2020, wenn man eine Million Barrel im Jahr fördert und keine neuen Felder erschließt. Doch diese Kalkulation basiert auf einem Ölpreis von 18 Dollar pro Barrel. Wenn sich der Preis nicht erholt, könnte der Termin für die Verschrottung der Nordsee-Bohrinseln vorverlegt werden, sagt Wils. Rob McKee, der Produktionschef der US-Ölgesellschaft Conoco, die zu 70 Prozent im Besitz von Du Pont ist, sagt: „Wie lange der Preis so niedrig bleibt, hängt davon ab, wann sich die Nachfrage erholt, und ob die Opec wieder etwas Schutz bietet.“

Es sind jedoch gerade die Länder außerhalb der Opec, in denen die Förderung zugenommen hat. Die Opec-Länder haben nur zu 30 Prozent dazu beigetragen. McKee hält es dennoch für unwahrscheinlich, daß die Länder außerhalb der Opec die Produktion einschränken werden: „Wir haben die Vorteile der freien Marktwirtschaft genossen, jetzt müssen wir auch mit den Nachteilen leben.“

Die Ölindustrie in Schottland hat ihren Zenit überschritten, die kostensenkenden Maßnahmen der Ölkonzerne können den Niedergang höchstens verlangsamen. Künftig müssen alternative Energiequellen entwickelt werden, sagt Wils: „Es ist zu hoffen, daß die Menschen, die heute in der Ölindustrie in Aberdeen arbeiten, nach dem Jahr 2020 in den alternativen Energiesektor überwechseln können.“

Noch sind die Jobverluste in Aberdeen nicht dramatisch, zumal viele Unternehmen in den vergangenen Jahren ihre Hauptsitze von London in das billigere Aberdeen verlegt haben. Doch die Sparmaßnahmen der Ölkonzerne machen sich in Europas Ölhauptstadt in anderen Bereichen bemerkbar. Die Restaurants sind nicht mehr so gut besucht, die hohen Angestellten versuchen nicht mehr, ihre Geschäftspartner mit teurem Wein zu beeindrucken. Gerard's, eines der vornehmsten Restaurants der Stadt, hat seit mehr als einem Jahr keinen Chateau Latour von 1953 für 150 Pfund verkauft.

Auch das Weihnachtsgeschäft war für die meisten Restaurants enttäuschend, da die Angestellten der Ölfirmen ihre Weihnachtsfeiern erstmals aus eigener Tasche bezahlen mußten. Die Taxi-Unternehmen klagen ebenfalls über Einbußen. Früher zahlte die Ölfirma den Arbeitern auf den Bohrinseln ein Taxi zum Flughafen, leitende Angestellte kamen mit dem Taxi zur Arbeit. Das ist vorbei. Aberdeen ist auf dem langsamen Weg, eine ganz normale schottische Stadt zu werden.