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Meerblick aus dem Golf

In St. Peter-Ording darf bis zum Jahr 2006 auf dem Strand geparkt werden, weil die Gäste mit Liebesentzug drohten  ■ Von Eberhard Spohd

Es war eine Entscheidung der Vernunft: In St. Peter-Ording darf weiterhin und auf jeden Fall noch bis zum Sommer 2006 direkt am Strand geparkt werden. Auf eine entsprechende Fristverlängerung haben sich Vertreter des Nordseeheilbades, von vier Kieler Ministerien und des Kreises geeinigt, erklärte Bürgermeister Rainer Balsmeier gestern. Ursprünglich sollten alle Strände des Nordseeheilbades ab dem Jahr 2001 nicht mehr von Autos befahren werden. Die Gemeinde fürchtete jedoch Einbußen in Millionenhöhe und hatte bei der schleswig-holsteinischen Landesregierung um Fristverlängerung gebeten.

So bleibt Tagestouristen die Möglichkeit nicht verwehrt, direkt bis zur eigenen Sandburg vorzufahren. Die Vorteile liegen klar auf der Hand: Der mitgebrachte Picknicckorb voller Leberwurststullen und Hansa-Pils muß nicht so weit geschleppt werden. Die Kinder können weiterhin zum Vergnügen Verstecken spielen – hinter den Autos der Strandkorbnachbarn nämlich. Mangels Dünen bliebe ihnen ansonsten nur das schnell erschöpfende Fangen-Spielen, und die quengelnden Gören fielen ihren Erziehungsberechtigten schnell wieder auf die Nerven und störten beim Rotbrennen der Haut.

Darüber hinaus kann der betrogene Gast auch weiterhin seinen Zorn voll entfalten. Sollte ihm in einem der auf Pfählen gebauten Strandcafés ein zu hoher Preis für sein Kännchen Kaffee abverlangt werden, kann er die Streichholzbeinchen der Gebäude durch gezieltes Rammen umknicken und so Genugtuung finden. Vorbildhafter lassen sich Volksmeinung und Aktionismus selten zur Deckung bringen.

Fast am wichtigsten bleibt aber der Gedanke der Völkerverständigung. Wie, bitte, soll man einer Dänin klarmachen, daß so nah am Wasser Autos nichts verloren haben? Ein Volk, das auf der schönen Ferieninsel Rømøden Strand quasi zum Verkehrsübungsplatz macht, lacht über die Pläne einiger verwirrter Naturschützer, ein so ideales Gelände nicht zu nutzen. Und wie soll man einem Engländer klarmachen, daß er sein Sandwich zwar mit Meerblick, aber nicht dem durch die Windschutzscheibe verzehren darf. Die freie Wahl des Autostellplatzes muß gewahrt bleiben in einem vereinigten Europa.

Auch wirtschaftliche Gründe zwingen dazu, den bisherigen Brauch beizubehalten. Seit langem ist St. Peter-Ording das einzige Seebad Norddeutschlands, in dem das Parken auf dem Strand erlaubt ist. Entsprechend attraktiv ist es für Tagesgäste: Bis zu einer halben Million kommen jedes Jahr. Die sozioökonomischen Untersuchungen, welche die Umsetzung der schrittweisen Sperrung begleiten, gelangen dagegen zu erschreckenden Ergebnissen – oder zu „alarmierenden“, wie Balsmeier nicht müde wird zu betonen. Befragungen zufolge würden viele Besucher St.Peter-Ording künftig meiden, wenn sie nicht mehr bis auf den Strand fahren dürfen. In diesem Falle drohten jährliche Einnahmeverluste von 11 Millionen Mark.

Also bleiben die Parkplätze – vorausgesetzt, die Gemeindevertretung stimmt dem Plan zu. Eine Formalie sicherlich, denn auch dort weiß man genau: Es ist eine Entscheidung der Vernunft.

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