: "Mitgefühl statt Stigmatisierung"
■ Der ausländerpolitische Sprecher der PDS, Giyasettin Sayan (48), ist kurdischer Abstammung und bemüht sich nach den tödlichen Schüssen im israelischen Konsulat um eine Beruhigung der Lage in Berlin
taz: Wie ist derzeit die Stimmung unter den Kurden in Berlin?
Giyasettin Sayan:Sie ist natürlich gespannt. Doch der erste Schock ist vorbei, jetzt wird versucht, mit dem Kopf zu denken. Man überlegt, wie die Bewegung weitergehen wird. Die Bewegung ist nicht nur Öcalan. Wenn der Vorsitzende festgenommen wurde, heißt das nicht, daß die kurdische Nationalbewegung zu Ende ist. Die 50.000 Kurden in Berlin sind Bestandteil der Bevölkerung. Sie haben keinen Anwalt. Wir brauchen einen Trost, ein Wort des Beileides. Wir verlangen von deutschen Parteien und Organisationen ein bißchen Gefühl und keine Stigmatisierung.
Wie erfolgreich sind die Vermittlungsversuche, die Sie seit Beginn der Kurdenproteste führen?
Sie waren ergiebig und sie werden auch weiterhin ergiebig sein. Zwar gibt es in bestimmten Teilen der Berliner Presse Versuche, Kurden und Juden gegeneinander aufzuhetzen. Doch dem muß man entgegenwirken. Es gibt seitens der kurdischen Bevölkerung keinerlei Ambitionen, etwas gegen jüdische Einrichtungen oder die jüdische Gemeinde zu unternehmen.
Worauf beruht Ihre Sicherheit?
Sie beruht auf den Kontakten, die ich zu der kurdischen Gemeinde habe. Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der sich anders geäußert hat.
Wie ist Ihr Zugang zu PKK-Aktivisten?
In kurdischen Vereinen gibt es sehr viele PKK-Anhänger und Sympathisanten. Es gibt eine gegenseitige Beeinflussung zu Besonnenheit und Frieden. Das hat auch dazu beigetragen, daß es bis zum heutigen Tag keine Ausschreitungen von seiten der Kurden gegeben hat.
Führen Sie Ihre Vermittlungsgespräche als Kurde oder als Abgeordneter?
Die führe ich als Abgeordneter kurdischer Abstammung. Ich habe unter der kurdischen Bevölkerung als Abgeordneter ein hohes Ansehen, weil ich kurdischer Abstammung bin. Das bringe ich zur Geltung, indem ich zur Besonnenheit aufrufe und mit Parteien und Institutionen diskutiere. Ich bin auch Mitglied der Kurdischen Gemeinde und im „Kurdischen Zentrum“ aktiv. Ich kenne diese Menschen gut. Das will ich voll ausnutzen, weil es in der Geschichte nie Spannungen zwischen der kurdischen und jüdischen Bevölkerung gegeben hat.
Können Sie nachvollziehen, wenn sich jemand verbrennt?
Ich habe auch bei der Besetzung des israelischen Konsulats gesehen, daß es einzelne Personen gibt, die sehr emotionalisiert sind. Ich sage solchen Leuten, daß es eine Dummheit ist, sich zu verbrennen, und daß es keinem nützt. Außerdem braucht man sie für die kurdische Sache. Darüber würden sich nur die Feinde des kurdischen Volkes freuen.
In Berlin leben Türken und Kurden Tür an Tür. Fürchten Sie eine Eskalation?
Nein. Es gibt in der Türkei 1,5 Millionen kurdisch-türkische Familien, in Berlin gibt es Tausende. Die sind wie Multiplikatoren. Bis jetzt hat es keine rassistischen Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben. Die nationalistischen Grauen Wölfe werden aber versuchen, sie aufzuhetzen. Am Dienstag sind sie jubelnd mit einem Autokorso durch Kreuzberg gefahren. Ich befürchte weitere solcher Versuche. Die Polizei muß sie zum Zwecke der Deeskalation beobachten. Die türkische Gemeinde und Organisationen sollen an ihre eigene Bevölkerung appellieren, von Provokationen abzusehen und nicht jubelnd auf die Straße zu gehen.
Wie ist Ihre Prognose für die nächsten Tage und Wochen?
Die Springer-Presse spricht immer von einer großen Katastrophe. Es wird außer dem geplanten Trauermarsch am Mittwoch keine Demonstration geben. Da bin ich mir sicher. Seit Dienstag haben sich die Kurden friedlich verhalten. Sie werden sich auch weiter an die Abmachungen halten. Interview:
Barbara Bollwahn de Paez Casanova
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