: Dieses eklige Erwachsensein
Die politischen Erfolge der Grünen waren Produkt einer jugendlichen Erregung. Trotz ihrer Institutionen- und Staatsfeindlichkeit blieben sie dabei ein echtes Kind der Bundesrepublik. Zum plötzlichen Akzeptanzverlust der Bewegungspartei und ihrer zentralen Themen ■ Von Harry Nutt
Auf das freudige Wiedererkennen folgte ein Moment der Beschämung. Wie die Trauergäste zur Beerdigungsfeier des jordanischen Königs Hussein habe ich auch einmal ausgesehen. Wie konnte ich nur?
Mitte der siebziger Jahre trug man in Schülerkreisen Palästinensertücher als Schal und zum Ausdruck einer diffusen Solidarität mit der palästinensischen Sache. So einfach war damals die Welt. Mit Hilfe von ein paar Emblemen möblierte man sein soziales Terrain. Das hatte ganz praktischen Nutzen. Aus den Signalen ließen sich weitreichende Verbindlichkeiten ableiten. Die Fahrer des Citroen 2CV, der „Ente“, grüßten einander im Straßenverkehr per Lichthupe, und als Anhalter leitete man den Anspruch ab, von Verkehrsteilnehmern mit dem Aufkleber „Atomkraft – nein danke“ mitgenommen zu werden. Die offen zur Schau getragene Gesinnungspartnerschaft vermittelte ein gutes Gefühl. So wenige sind wir gar nicht.
Die entsprechenden Lieder (was macht eigentlich Walter Mossmann?) forderten auf, sich der wachsenden Masse anzuschließen. „Auf welcher Seite stehst du, he, hier wird ein Platz besetzt.“ Der Bauplatz, das war die Metapher für eine gesellschaftliche Leerstelle. Der okkupierte Raum sollte nicht wieder zur Wiese, sondern zu einer Art Laboratorium werden. Statt der Betonmäntel mit teuflischem Interieur hätte eine neue Republik zu entstehen. In die Personalausweise der Bundesrepublik Deutschland stempelte unsereiner das fiktive Hoheitswappen der Freien Republik Wendland.
Seit der Hessen-Wahl Anfang Februar spricht man von einem Akzeptanzverlust der Grünen und ihrer Themen. Die treuesten Wähler bleiben weg, und die jungen halten Distanz. Daß es sich im Augenblick des größten Erfolges ereignet, der Teilhabe an der Regierungsmacht, läßt vermuten, daß die Abkehr der Wähler nicht nur politisch begründet, sondern zu nicht geringen Teilen affektiv besetzt ist. Das verdient einige Aufmerksamkeit.
Affekte waren von Anfang an ein wichtiger Bestandteil des Milieus, aus dem die Grünen hervorgegangen sind. Um die globale ökologische Gefährdung als Antriebsfeder ihres Handelns kenntlich zu machen, bedurfte es von Beginn an weniger des kühlen Arguments als der glaubwürdigen Erregungsfähigkeit. Der Bekenntnisdrang jener Jahre, in denen das umweltorientierte Selbstverständnis bequem auf einen Button paßte, war zuallererst ein demonstrativer Verweis auf die eigene Konstitutionsschwäche. Hier stehe ich allein mit nichts als meiner Gesinnung.
Palästinensertuch und AKW- nee-Button waren die Insignien einer Selbststigmatisierung. Die Akteure sozialer Bewegungen inszenieren sich bevorzugt im Zeichen von Ohnmacht und Schwäche – eine lächelnde Sonne, wie von Kinderhand gemalt. Die Spaziergänger aus der Wilster Marsch richteten sich derweil provisorisch ein im sozialen Kokon des Hüttendorfs, dessen fragile Bauweise eine Art Anrufung des strafenden Staats war. Mit der Zerstörung der Bretterbuden durch schweres Polizeigerät erfüllte dieser die Erwartung auf Gewalt, die man sich vom Polizeistaat erhoffte. Einer der älteren Bewegten wie Robert Jungk malte das stählerne Gehäuse des Apparats in seinem Science-fiction-Roman „Der Atomstaat“ in metallischen Klängen aus. Die soziale Bewegung, aus der die Grünen hervorgingen, war in hohem Maße staatsfixiert.
Das Verhältnis der alternativen Bewegung zum Staat läßt sich ein Stück weit als religiöse Erfahrung beschreiben. In unserer Wohngemeinschaft waren wir felsenfest davon überzeugt, daß unsere Telefonate abgehört wurden. Wir wären enttäuscht gewesen, wenn es nicht so gewesen wäre. Man forderte die Staatsmacht heraus, so gut man konnte, in der Hoffnung, sie zeige ihr wahres Gesicht. Erscheinungen dieser Art ließen dann auch nicht lange auf sich warten. Es kam zu Stellungskämpfen mit Gummigeschossen und CS-Gas in Grohnde und anderswo. Die letztlich einem Niedlichkeitsgebot gehorchenden Protestformen waren zugleich die Zurücknahme einer harten Konfrontation. Die schlimmste Furcht war die einer Gottesferne, die Ahnung, nicht beobachtet und abgehört zu werden. Daß der Staat sich seinerseits auf das Spiel eingelassen hatte, zeigen absurde Praktiken wie das Erlassen eines sogenannten Vermummungsverbots. Das war die geheime Funktion der Palästinensertücher. Der Staat war so frei, seinen Beitrag zur Paranoia der sozialen Bewegung zu leisten, und lieferte Gottesbeweise.
Die grüne Bewegung auf ihre symbolische Wirkung und ihren affektiven Charakter zu reduzieren hieße, ihre politische Bedeutung zu verkennen. Es geht hier aber einmal nicht um Inhalte, sondern um Politikstile. Die große Leistung der Grünen ist die Installierung einer dauerhaften Politik der Erregung. Was bleiben wird, ist die Einführung ökologischer Produktionsweisen im industriellen und die Durchsetzung entsprechender Haltungen im privaten Sektor. Kein kleinbürgerlicher Haushalt, in dem nicht die Mülltrennung die Essensgewohnheiten mitbestimmen würde. Daß die Grünen bis heute einen Politikstil mit hohen Affektanteilen nicht abgelegt haben, zeigte freilich noch einmal der zurückliegende Wahlkampf, in dem sie mit Forderungen wie der symbolischen Erhöhung des Benzinpreises auf fünf Mark pro Liter und der Beschränkung von Auslandsurlauben auf eine Art Verordnungspolitik setzten. Ein aus universeller Verantwortung abgeleiteter Rigorismus war stets der Kern ihrer politischen Selbstlegitimation. Er zeigt sich noch immer an ihren gegenwärtigen Zielen. Der Atomausstieg und die Einführung des Doppel-Passes werden weniger politisch vertreten als mit hohem Energieaufwand ventiliert.
Die amerikanischen Politologen Andrei Markovits und PhilipS. Gorski haben in ihrer Untersuchung „Grün schlägt rot“ (Rotbuch-Verlag, 1997) auf den ungelösten Widerspruch der Grünen zwischen Bewegungsform und Parteibildung hingewiesen. Mit den deutlich spürbaren Bewegungsresten pflegen sie noch immer einen apodiktischen, latent undemokratischen Politikstil. Ihr inniges, aber spannungsreiches Verhältnis zum Staat hat bei den Grünen eine Institutionenfeindlichkeit wachgehalten, die um so paradoxer erscheint, da sie selbst viele Institutionen ins Leben gerufen haben. Wegen ihres antielitären Habitus ist es ihnen nicht gelungen, einen eigenen Elitebegriff zu entwickeln.
Der affektive Charakter der Grünen korrespondierte stärker als bei jeder anderen Partei mit dem Lebensgefühl ihrer Wähler. Als soziale Aufsteiger verharrten die Grünen und ihre Klientel in einer Art Wartestellung, in der noch nicht endgültig über die gesellschaftliche Position entschieden war. Die Etablierung im Bürgerlichen, die man ablehnte, spielte zusammen mit der Ungewißheit von Karrierechancen. Im Zweifelsfall war persönliches Scheitern umzuarbeiten in die Präferenz einer individuellen Entscheidung. Selbst in den späten achtziger Jahren schien sich das Alternativmilieu trotz hoher Bildungsgrade, vielfältiger Gestaltungsmöglichkeiten und eines plötzlich entdeckten Hedonismus von einer provisorischen Lebensweise nie ganz lösen zu können. Die Freiheit der Globetrotter mündete schließlich in der Ungewißheit von ABM-Maßnahmen und Honorarverträgen.
Aber kann man sich dauerhaft auf der Basis von Affekten einrichten? Es könnte sein, daß die unverhoffte Machtposition einen plötzlichen Ekel vor der durchlebten Bewegungszeit evoziert hat. Die Abkehr von einer grünen Identität, so meine Vermutung, ist keine Reaktion auf den vermeintlichen Verrat der grünen Protagonisten, sich realpolitisch fit zu machen. Die Bundesrepublik ist vielmehr in eine Phase eingetreten, in der die grüne Bewegungszeit als späte Jugend erkannt wird, die man abstreifen möchte. Deutlich in die Jahre gekommen, mag man sich nun die Bewegungszeit in selbstverordneter Genügsamkeit nicht mehr so recht zumuten. Die vorerst letzten Generationen mit der Option auf geradlinigen gesellschaftlichen Aufstieg kann sich die späte Ankunft in verantwortlichen Positionen nicht verzeihen. Das spüren auch die Jungen, die nicht mehr ohne weiteres mit der Partei sympathisieren. Die Hessen-Wahl und ihre weitreichenden bundespolitischen Konsequenzen kann man auch als die Abstrafung des eigenen Erfolgsmodells lesen. Die Bindung ans Milieu, das Festgelegtsein auf sogenannte grüne Themen erscheint plötzlich als rückwärtsgewandte Leutseligkeit.
Das ist am Ende der Preis einer über viele Jahre gelingenden Emblematisierung, der Kunst, die eigene Emotionalität zu operationalisieren. Das Spagat zwischen Staatsrepräsentation und Kneipenkompatibilität, das einem Joseph Fischer auf so eindrucksvolle Weise gelingt, sieht von der Basis aus wie bloße Etablierungssucht. Vermutlich läßt sich die Bundesrepublik aber nicht länger im Zeichen eines Milieumodells beschreiben, in dem die einzelnen Milieus klar abgegrenzte Räume darstellen, die sicheren Aufenthalt gewähren. Darin besteht das Unbehagen an der von Gerhard Schröder ausgerufenen Neuen Mitte, die im grünen Umfeld als inhaltslos identifiziert wurde. Wenn man erkannt hat, daß die Zeit der Bewegung vorbei ist, könnte man die Leere der Neuen Mitte freilich auch als Möglichkeitsraum auffassen. Das grüne Projekt wäre dann die Umarbeitung affektiver Impulse in Politik.
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