: MTV Live aus Berlin, aber ohne Berliner Themen
Seit Ende Januar sendet der Musiksender MTV täglich drei Stunden live aus Berlin, um der Konkurrenz Viva die Teenager abspenstig zu machen. Wo brodelnde Hauptstadt draufsteht, ist aber kein Berlin drin. Den Kids, meinen die Macher, sei es egal, woher eine Sendung kommt ■ Von Kirsten Küppers
Es ist ein hartes Brot, am Nachmittag des Rosenmontags in der Hauptstadt der Faschingsgriesgrämer verkrampfte Teenager vor laufender Kamer so in Partylaune zu versetzen, daß die witzige Sachen zum Karneval sagen. Aber das ist der Job. Musikvideosender MTV sendet schließlich seit dem 18. Januar täglich „Live aus Berlin“ und nicht aus der Tollen-Tage- Hochburg Köln.
Da muß Jungmoderator Christian Imhof in den sauren Apfel beißen, wenn es gilt, den Berliner Spirit of the Street einzufangen. Er hoppelt mit roter Clownsnase im Umkreis von zwei Metern um das gläserne Studio am Breitscheidplatz und hält nach kostümierten Menschen Ausschau. Da sind aber keine. Andere Passanten auf der Straße rennen weg. Drama einer Live-Sendung. Schnell ein Musikvideo einspielen.
Mit der neuen dreistündigen Berlin-Show will MTV der Konkurrenz Viva die Teenager abjagen. Zu lange hat man sich mit ansehen müssen, wie Viva deutschlandweit die Jugendzimmer eroberte. Die Kids wurden mit Moderationen in deutscher Sprache und heimischen Musikproduktionen gewonnen. Derweil alterte das MTV-Publikum mit dem Musikdinosaurier.
Das soll nun ein Ende haben, geht es nach dem Willen der MTV- Macher. Wer noch kein Englisch versteht, kann sich also neuerdings auch nachmittags bei „MTV Live aus Berlin“ vor den Hausaufgaben drücken. Und kriegt auch deutsches Musikwerk wie Thomas D. oder Hausmarke vorgespielt.
Kurz nach Sendestart hat sich das Engagement für den Standort Berlin für MTV schon gelohnt: Der Medienrat der Medienanstalt Berlin-Brandenburg hat MTV – und nicht Viva – Ende Januar einen Platz im sogenannten Normalband im Berliner Kabelnetz zugesprochen. Das heißt eins zu null für MTV. Denn Viva kann nun von den Jugendlichen, die nur auf dem alten Fernseher von den Eltern gucken, nicht mehr empfangen werden.
Statt dessen also MTV, Montag bis Freitag drei Stunden live aus Berlin, der Stadt, die so gerne Deutschlands Medienhauptstadt werden möchte. Das Marathon beginnt um 14 Uhr mit „Select“. Hier basteln sich die Zuschauer per Fax oder E-mail ihre Popwunschwelt aus dem aktuellen Hitprogramm. Moderiert wird die einstündige Lieblingsmusikvideoschau von dem 25jährigen Peter Imhof.
Der ehemalige Warm-upper von Schreinemakers-TV ist auch bei der anschließenden Plaudersendung „Live aus Berlin“ dabei. Mit jugendlichem Studiopublikum wird hier zwei Stunden lang ein Thema durchgekaspert. Irgendwelche Prominente sind auch zu Besuch, Bürgermeister Eberhard Diepgen oder die Popgruppe Blumfeld.
Dazwischen gibt es wieder Musikvideos. Die Themen der jeweiligen Sendung „Doppelte Staatsbürgerschaft“, „Traumberufe“ oder „Narrenfreiheit“ scheinen beliebig, einen besonderen Berlinbezug gibt es nicht. „Schließlich werden wir auch in Wuppertal geguckt“, erklärt Peter Imhof.
Die Kassenschlagerqualität der Show hängt demnach stark an ihm und seinen jungen Kollegen Claudia Hiersche und Christian Ulmen. Während Imhof mit blauen Augen und flapsigen Sprüchen die Teenies zum Schwärmen bringen soll, besitzt Girly-Moderatorin Claudia Hiersche Korkenzieherlocken zum In-die-Kamera-Wedeln.
Sie war in ihrem früheren Leben Nachrichtensprecherin beim RTL- Disney-Club und Barfrau. Jetzt scheint ihre vornehmliche Aufgabe darin zu bestehen, die Zuschauer vor den Bildschirmen gebetsmühlenartig an eines zu erinnern: „Faxt und e-mailt uns eure Erlebnisse!“ Dafür ist Moderator Christian Ulmen nicht auf den Mund gefallen. Schließlich hat er ebenfalls Ex-Disney-Clubber schon jahrelange Erfahrung auf dem Londoner MTV-Parkett.
Unermüdlich veräppelt er alles, was ihm vors Mikro kommt, und entlockt selbst dem maulfaulen Publikum ein paar Lacher. Ob das Konzept die Jugend vor die Mattscheibe lockt, ist noch unklar. Bisher liegen noch keine Quoten vor.
Es sei indes richtig, findet der 23jährige Neuberliner, was der Chef von der Viva-Konkurrenz, Dieter Gorny, sagt. Nämlich, daß es „den Kids völlig egal ist, von wo eine Sendung kommt“.
Trotzdem ist Ulmen davon überzeugt, daß der Sendeort eine Show beeinflußt. „Wir wollen den Berliner Popgeist einfangen“, nimmt er sich vor. Vom ebenfalls vielzitierten „brodelnden Berlin“ ist im Studio allerdings auch am Rosenmontag nicht viel zu spüren. Beim Faschingspfannkuchen- Wettessen will Publikumsgast Jasmin keine Pfannkuchen essen, weil sie auf Diät ist.
Christian Ulmen drängt unterdessen einem anderen Studiogast ein Paar Plastikhörner auf. Irgendwann wird so selbst das faschingsmuffligste Publikum mürbe: Jasmin winkt am Ende, glücklich Pfannkuchen mampfend, in die Kamera. Unter der Anführerin Claudia stampft eine Polonaise durch das Studio.
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