Kommentar: Sündiges Treiben
■ Protestantischer Bürgermeister deckt Katholiken
Sie haben recht behalten. Hatte sich nicht alle Welt belustigt, als die Bürgerinitiative „Volkspark Hasenheide“ vor anderthalb Jahren ihren heroischen Kampf gegen die päpstliche Gesandtschaft begann? Wer nahm schon das Gutachten ernst, das einen gefährlichen Umschlag des „Kleinklimas“ an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln voraussagte? Und wer glaubte im Ernst daran, daß sich die 15 Botschaftsmitarbeiter im Problemkiez nur mittels Selbstschußanlage vor militanten Protestanten oder Antichristen sicher fühlen könnten?
Heute wissen wir: Die wackeren Aktivisten haben nicht über-, sondern untertrieben. Neuköllns Bürgermeister Manegold hat die Baugenehmigung noch überhaupt nicht unterschrieben, da versündigen sich die päpstlichen Abgesandten schon an der Schöpfung – und fällen neun Bäume. Neun? Was wollen sie uns damit sagen? Die Dreifaltigkeit kennen wir, den siebten Tag, die zehn Gebote, die zwölf Apostel. Und mit der höheren Mathematik mittelalterlicher Zahlensymbolik, Dreifaltigkeit hoch zwei beispielsweise, sind heutzutage nicht allein Neuköllner überfordert – auch wenn sich für die Kenner jetzt erschließt, warum Manegold die Botschaft einst als „Multikulti hoch drei“ anpries.
Dem Katholiken an und für sich fällt es freilich nicht schwer, solch sündiges Treiben im Weihrauchdunst zu vernebeln. Schließlich darf der Romgetreue im Gegensatz zum Lutherjünger tun und lassen, was er will – er muß es nur beichten und dabei zu seiner eigenen Erleichterung schönreden. Bäume gefällt? Gott behüte! „Stangenholz entfernt“, plappert Protestant Manegold die ultramontanen Floskeln arglos nach.
Doch wie lange will der Bürgermeister dem Treiben der schwarzberockten Mannen noch zusehen? Was geschieht, wenn auf dem exterritorialen Gelände die Schweizergarde aufzieht, mit Hellebarden schwer bewaffnet, und das rauhe Idiom der Eingeborenen als Aggression mißdeutet? Wenn sich die Neuköllner nicht mehr zu Hause fühlen zwischen lateinischen Floskeln, wallenden Gewändern und Prozessionen unter Polizeischutz? Der Pfarrer der angrenzenden Kirche weiß es: „Da kommt ein Zaun hin und fertig.“ Ralph Bollmann Bericht Seite 20
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