: Die Leibärztin Gottes
Kirchenbau ist Männersache. Zumal wenn es sich um einen katholischen Prachtbau wie den Kölner Dom handelt. Nun bestimmt zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Frau die Geschicke des Gotteshauses. Barbara Schock-Werner bewegt sich seit einem halben Jahr als „Frau Dombaumeister“ allein zwischen Kirchenmännern in Soutane und Handwerkerdrillich. Ein Portrait ■ von Henrike Thomsen
Die Sterne im Deckengewölbe des Kölner Doms tun so, als beginne hier das Firmament. Als eine seiner letzten Amtshandlungen hat Dombaumeister Arnold Wolff sie neu vergolden lassen und dafür viel Lob von den Besuchern erhalten, die jetzt mit zurückgelegten Köpfen über Altar und Orgel nach oben starren. Wolffs frisch gekürte Nachfolgerin Barbara Schock-Werner steht an diesem sonnigen Januarmorgen auf dem Dach des Doms. Das Deckengewölbe sieht von oben aus wie der schmutzig geschuppte Panzer einer alten Echse. Schwere Stahlseile laufen durch ein paar faustgroße Bohrlöcher ins Innere der Kirche. „Wenn es nicht stimmt, was die Herren Statiker ausgerechnet haben, werden Sie jetzt Zeuge des dramatischen Absturzes der neuen Orgel“, bemerkt die neue Chefin, die seit Beginn des Jahres offiziell im Amt ist, zu den umstehenden Handwerkern.
Die Männer in ihren Monteursoveralls und Zimmermannshosen setzen die schweren Schraubenzieher an. Zitternd laufen die Stahlseile von der Behelfskonstruktion, an der das kostbare Instrument montiert wurde, auf die endgültigen Trägergerüste. Schock-Werner stürmt mit einem Ruf davon: „Der Schumacher soll kommen! Wir gehen auf den Turm!“
Immer neue Höhepunkte. Aber dieser soll dauern. „Als ich durch Freunde von der Stellenausschreibung erfuhr, wußte ich: Das ist, was du für den Rest deines Lebens machen willst“, sagt die 51jährige. Ihre Biographie liest sich tatsächlich, als sei sie in dem göttlichen Universalplan, den der Dom demonstrieren soll, dafür vorgesehen. Nach der mittleren Reife in den sechziger Jahren zunächst Lehre als Bauzeichnerin. Fachstudium in Architektur, wobei sie auch Mauern und Zimmern lernt. In den Siebzigern Zweitstudium in Kunstgeschichte. Promotion über das Straßburger Münster, wobei sie nicht nur die mittelalterlichen Konstruktionspläne entziffert, sondern über die erhaltenen Rechnungen die Arbeitsweise der Hütte rekonstruiert. Zuletzt Professorin an der Universität Nürnberg mit Schwerpunkt „Gotische Bauorganisation und Architektur“ und Vizepräsidentin der deutschen Burgenvereinigung. Nebenbei findet sie Zeit, Gott weiß, wie, für eine Familie mit zwei Kindern.
„Sie ist schlicht die Beste nach allen Kriterien“, sagt Domprobst Bernard Henrichs. Das hat sie nun davon: Einen Stab von rund neunzig Mitarbeitern von der Putzhilfe bis zum Ingenieur, einen Jahresetat von sechzehn Millionen Mark und 750 Jahre weltberühmte Bau- und Kirchentradition im Nacken, die unter dem täglichen Besucheransturm bewahrt sein will.
Das Kriterium, das für Henrichs am meisten zählt, ist die Liturgie. Wie gläubig sie sei, wurde die Katholikin Schock-Werner im Bewerbungsgespräch beim Domkapitel nicht gefragt. „Das können Sie gar nicht messen“, meint der Probst weise. Um so wichtiger, daß sie die gottesdienstlichen Konventionen beherrscht, das theologische Notensystem, in dem die gewaltigen gotischen Chorgewölbe bis ins kleinste Detail notiert sind. Schon ein falsch plaziertes Bild oder ein zu helles Fenster, erfährt man bei dem renommierten Mainzer Liturgiewissenschaftler Adolf Adam, verstößt gegen die Gebote. Nichts soll die Aufmerksamkeit der Gläubigen während der Messe ablenken und die feierliche Inszenierung der göttlichen Allmacht stören. Nichts, nicht das unscheinbarste Ding oder die kleinste Geste, ist unschuldig im Dom. Alles strebt nach höherer Bedeutung. Wie für Schock-Werner „jeder Sockel schon das Gewölbe im Auge hat. Jedes Teil ist auf das Ganze bezogen. Der Dom ist logisch aufgebaut, aber seine Wirkung ist emotional. Im Grunde kann man ihn nur zur Liturgie nutzen.“
Die Gläubigen sind den Theologen zufolge wiederum „Steine des lebendigen Tempels“. Der Dom als das Haus Gottes ist gleichzeitig der mystische Leib der Gemeinde, die Gemeindemitglieder als Tempelsteine gleichzeitig die streng hierarchisch aufeinander bezogenen Glieder des göttlichen Organismus. Der Dombaumeister muß sich wie ein mittelalterlicher Leibarzt mit diesen esoterischen Gleichungen auskennen.
„Der Schumacher soll kommen!“ Der Gerufene hastet hinterher. Sie quetschen sich in einen kleinen Bauaufzug und rattern hinauf in die Spitze des Nordturms. Schock-Werner steht breitbeinig, die Hände in den Taschen des Pelzmantels versenkt, den sie bei einer befreundeten Kürschnerin in Auftrag gegeben hat. Der Pelz sitzt inwendig, verborgen unter einer schwarzen Mikrofaserschicht, die nicht nur gegen den Wind schützen soll: „Ich wollte was Schickes, aber nicht zu elegant. Ich darf ja hier keine komische Figur abgeben.“ Ihr Gesicht ist ohne Lieblichkeit. Der kurze Strähnenschnitt, der Blick, Nasenrücken und Wangenknochen – alles sticht robust und entschlossen hervor. Der Mund und die großen schmalen Augen sind ungeschminkt. Nur ein Seidentuch lugt bunt aus dem Mantelausschnitt.
Oben angekommen, bringt ihr ein Handwerker einen rostigen Eisendübel, der zwischen Vogelknochen und abgebröckelten Steinen im Seitenumgang lag. Die zierlich geschwungenen Fialen, aus denen sich die Türme zusammenranken, haben schon Wolff Kummer bereitet, aber besonders die knapp drei Meter hohen Engelsfiguren. Ihre Hände, die unter den Baldachinen hervor in den Regen ragen, verwittern und fallen mitsamt den Attributen herunter, wenn die rostenden Dübel den Stein von innen sprengen. Schon wieder ist ein Teil des Turms eingerüstet. Von unten sieht es aus, als hätten Ärzte der alten Echse ein Heftpflaster aufs Ohr verpaßt. Jetzt erwartet das Team Anweisungen für die bevorstehende Operation.
„Jeder Dombaumeister drückt seine eigene Note auf“, weiß Probst Henrichs. „Aber das braucht Zeit.“ Für die ersten drei Monate seit ihrer Amtseinführung im Herbst stand Schock-Werner noch der alte Dombaumeister mit seiner 26jährigen Erfahrung zur Seite. „Seine Fußstapfen sind gigantisch“, sagt sie nun. „Man kann es nur anders machen, nicht besser.“
Sie will auf mehr Eigenverantwortung und Auseinandersetzung bauen, da sie eben „in der Diskussionskultur“ groß geworden sei. „Wolff hatte eine andere Souveränität als ich“, eröffnet sie oben auf dem Turm dem gleichmütig lauschenden Team. Befehlsempfänger waren die Gerüstbauer, Schmiede, Zimmerer, Steinmetze und Ingenieure auch unter Wolff nie. In Kolonnen, die seit Jahren aufeinander eingespielt sind, gehen sie ihrer Arbeit nach. Was für sie zählt, ist die Fachkompetenz des Chefs – ob er sich mit dem Korrosionsverhalten der verschiedenen Steinsorten auskennt, ob er ein statisches Problem rasch erfaßt, ob er die richtigen Werkzeuge beschafft, die für die kitzeligen Restaurationsarbeiten oft extra angefertigt werden müssen. Schock-Werner kann zu allem ihren Standpunkt erläutern. Sie bekräftigt ihn auch schon einmal mit einem „Es hat überhaupt keinen Sinn, das jetzt zu diskutieren!“. Nach einer Viertelstunde rattern alle mit steinernen Mienen wieder herunter.
Immer neue Bewährungsproben. Aber diese ist die größte, die irgendwie alle vorherigen enthält. Die Tochter einer schwäbischen Handwerkerfamilie, die in den sechziger Jahren ihr Fachstudium durchsetzte, um das Idiom der Architektur zu lernen. Die pragmatische Architektin, die im geisteswissenschaftlichen Diskurs eine neue Heimat suchte. Die Professorin, die angesichts der akademischen Querelen und Eifersüchteleien zurück zu ihren Wurzeln wollte.
Schock-Werner hat sich jedesmal neu riskiert. Unter ihren rund dreißig Mitbewerbern waren wenigstens sechs, die das Domkapitel ebenfalls gerne genommen hätte. Säkular gesehen lag ihr gewisses Etwas vielleicht darin, vielseitig und selbstsicher, aber nicht selbstherrlich zu sein. Daß sie über Taubendreck und Muschelkalk ebenso reden kann wie über Orgelmusik und Mathematik, mit dem Probst genauso wie mit dem Glaser.
Nur ein Aspekt, der mit den katholischen Hierarchievorstellungen auf Anhieb so schwer zu vereinen ist, spielt angeblich für niemanden eine Rolle: daß sie eine Frau ist. „Es war absolut nicht relevant, selbst wenn es uns einen Zacken aus der Krone bricht“, sagt Probst Henrichs und meint damit, daß der konservative Kölner Kardinal Joachim Meisner die erste Leibärztin Gottes in der 750jährigen Geschichte des Doms ja auch als Emanzipationspropaganda hätte nutzen können. Die Handwerker zucken auf die Frage nur mit den Achseln: „Das klappt schon mit der.“ Schock-Werner selbst war in ihrem ganzen Berufsleben „immer nahezu die einzige Frau unter Männern. Solche Situationen überlege ich mir gar nicht mehr.“
Es irritiert sie, daß die Öffentlichkeit plötzlich besondere Erwartungen hegt. „Als erstes werde ich immer gefragt, wann ich den Dom putzen lasse. Offenbar erwartet man von Frauen, daß sie besonders reinlich sind. Beim WDR wurde ich gefragt, ob der Dom jetzt weiblicher würde. Soll ich Spitzendeckchen auslegen, habe ich gefragt. Das Interview war dann ziemlich schnell zu Ende.“ Anderer Vorschlag: Könnte man in den gotischen Spitzbögen nicht verkappte Vaginalformen sehen?
Zurück im Büro, wartet schon der angemeldete Besucher. Die neue Sekretärin möchte endlich eingewiesen werden, und dann muß Schock-Werner los zu einer Konferenz nach Koblenz. Aber erst mal fällt sie ihrem Sohn Gregor um den Hals, der auch im Gewühl des Vorzimmers wartet. Sie hängt sich an seinen Hals, als wäre sie das Kind. Für einen Moment fehlt alle Strenge, und man ahnt eine Jemandin, die beim Bewerbungsgespräch vor Probst Henrichs nervös geschwitzt hat, für die der Dom in der Anfangszeit jedesmal, wenn sie ihn sah, zu wachsen schien. Jetzt, wenn sie zur Dienstbesprechung mit ihrem Vorgesetzten über den Platz geht, wachsen die Türme nicht mehr. Aber sie schrumpfen auch nicht. Bei aller Hektik, sagt sie, gibt es immer wieder „diese dreißig Sekunden, wo einem die Luft wegbleibt“, wenn sie auf dem Dach steht oder frühmorgens den goldenen Altarschrein im dämmerigen Gewölbe leuchten sieht. „Ich frage mich dann, ob ich dem allem gewachsen bin. Jede Zeit weiß, was die letzte falsch gemacht hat, und macht ihre eigenen Fehler.“
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