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Und stell dir vor, keiner demonstriert

■ Der Bundestagsbeschluß zum Kosovo stieß auf keinen nennenswerten Widerstand. Warum?

Berlin (taz) – Es gilt, ein Rätsel aufzuklären. Es war schon dunkel in Bonn am Donnerstag abend, als der Deutsche Bundestag die Bereitstellung von bis zu 5.500 Soldaten für einen Einsatz auf dem Balkan beschloß. Vor allem aber war es friedlich – im Plenarsaal ebenso wie draußen auf den Straßen. Keine erhitzten Debatten im Rund des Parlaments, keine erregten Demonstranten rund um die Bannmeile. Deutschland plant, das größte Bundeswehrkontingent in der Geschichte der Republik auf eine Mission mit ungewissem Ausgang zu schicken – und in der Öffentlichkeit scheint sich niemand so recht dafür zu interessieren. Warum?

Bei der Suche nach einer Antwort stößt man nicht zuletzt auf eine Veränderung im Selbstverständnis der Republik. Geändert hat sich das Bild vieler Deutscher von Krieg und Militäreinsätzen.

Die Vorstellung davon, was unter Militäreinsätzen zu verstehen sei, war in den ersten 40 Jahren Bundesrepublik geprägt vom Zweiten Weltkrieg. Maßlos war die Zerstörung, unendlich das Leid – so lautete die Lektion, die den Älteren aus der Erinnerung präsent blieb und den Jüngeren in der Schule beigebracht wurde. Mochten auch manch Ewiggestrige es mit der Frage, wer denn den Krieg „über Deutschland gebracht“ habe, nicht allzu genau nehmen, der Schrecken des Krieges war weitestgehend unumstritten.

Weil der Weltkrieg ein totaler war, erübrigte sich jede Unterscheidung zwischen Krieg und Militäreinsatz. Die Auseinandersetzung in der Bundesrepublik konnte sich der Gleichung nicht entziehen, die zum Beispiel Wolfgang Borchert und Heinrich Böll in ihren Geschichten verdichteten: Militäreinsätze bedeuten Krieg und sind also die Ursache von Tod, Leid und Zerstörung.

Frühestens seit der westlichen Militäraktion gegen Saddam Husseins Besatzertruppen in Kuweit 1991, spätestens seit dem Krieg in Bosnien ist dieses Verständnis von Krieg im Wandel begriffen. Nach dem Massaker von Srebrenica, bei dem Tausende von bosnischen Muslimen unter den Augen der Welt getötet wurden, fragten sich breite Teile der Öffentlichkeit, ob nicht ein energischeres Eingreifen des Westens die Katastrophe hätte verhindern können. Unvermutet erschien ein Militäreinsatz nicht mehr als Ursache von Tod, Leid und Zerstörung, sondern als Chance, diese zu verhindern.

Unter dem Eindruck dieser Ereignisse begann eine Formel zu bröckeln, die weit über die politische Linke hinaus das Denken der Nachweltkriegsrepublik bestimmt hatte – „Nie wieder Krieg“. Dem Satz kam schlicht das Subjekt abhanden: Der Begriff „Krieg“ wurde Opfer einer semantischen Zersplitterung. Hatte der öffentliche Diskurs bisher allenfalls zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg unterschieden, wurde nun gestritten, ob es sich um einen friedenserhaltenden, friedensschaffenden oder friedenserzwingenden Einsatz handele. Der Preis der Differenzierung: Demonstrieren läßt sich dagegen schwer. Patrik Schwarz

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