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Zwei Jahre grundlos in der Heines-Psychiatrie

■ Bremer Landgericht sprach Patientin Rente und Schmerzensgeld zu. Heines-Klinik hatte sie zwei Jahre zu Unrecht festgehalten. Heines geht jetzt in Berufung

Den 16. November 1978 wird Vera Stein wohl nie vergessen. Drei Pfleger der psychiatrischen Klinik Dr. Heines stürzten sich auf die damals 20jährige Patientin und rissen sie zu Boden. Die junge Frau schlug um sich und schrie: „Nein, laßt mich raus.“ Der Oberarzt gab ihr eine Spritze. Die Patientin war kurz zuvor aus der geschlossenen Abteilung geflohen. Die Polizei hatte sie am Hauptbahnhof aufgegriffen und in Handschellen zurück in die Klinik gebracht.

Die Heines-Klinik hatte kein Recht die Patientin festzuhalten. Vera Stein war nicht entmündigt. Es gab keine richterliche Anordnung für die Unterbringung in der Psychiatrie. Und noch nicht einmal die Einverständniserklärung für die Aufnahme hatte die Patientin unterschrieben. „Ein rechtswidriger Eingriff in das Freiheitsrecht der Klägerin“, entschied das Bremer Landgericht im Sommer 1998. Die Klinik hat gegen das Urteil Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt. Das Gericht hat jetzt einen neuen Gutachter bestellt. Denn auch an der Diagnose der Ärzte gibt es inzwischen Zweifel. Knapp zwei Jahre lang wurde Vera Stein in der Heines Klinik wegen einer Psychose behandelt. „Rückblickend kann davon ausgegangen werden, daß zu keiner Zeit eine Psychose vorgelegen hat“, stellte ein Gutachter 1994 fest. Die junge Frau sei schwierig, aber gesund gewesen. Ihre Verhaltensstörungen seien auf das schlechte Verhältnis zu den Eltern zurückzuführen.

Mit 15 Jahren wurde Vera Stein 1973 von einer Psychologin untersucht. Sie war aggressiv und ritzte sich mit scharfen Gegenständen die Arme auf. Als Kind war sie an Kinderlähmung erkrankt und zog ein Bein nach. In der Schule wurde sie gehänselt. Die Psychologin tippte auf „Hebephrenie“ (Schizophrenie im Jugendalter). Daß diese Verdachtsdiagnose von den Ärzten nie mehr in Zweifel gezogen wird, wurde Stein zum Verhängnis. Bis zu ihrem 23. Lebensjahr wurde sie in fünf psychiatrischen Kliniken in Bremen, Gießen, Wiesbaden, Frankfurt und Mainz behandelt. Die längste Zeit verbrachte sie in Bremen. Sie verlor ihre Stimme und konnte elf Jahre lang nicht sprechen. Eine Spätfolge der Kinderlähmung, sagen die Ärzte. „Eine Folge der Medikamente“, glaubt Stein.

Sie hat alle fünf Kliniken verklagt. „Anstatt die Folgen meiner Kinderlähmung zu behandeln, hieß es in den Kliniken immer, meine Sprach- und Bewegungsstörungen seien psychosomatisch. Ich war abgestempelt als der Psycho-Fall.“ Das Landgericht Wiesbaden und das Oberlandesgericht Frankfurt am Main haben die Klagen abgewiesen, weil eine falsche Behandlung nicht nachgewiesen werden könne. Für das Bremer Landgericht war diese Frage unerheblich. Die Heines-Klinik hätte die Einwilligung der volljährigen Patientin einholen müssen. Das sei nicht geschehen. Die Klinik ist sich keiner Schuld bewußt. Die Klägerin habe nie den Willen geäußert, die Klinik zu verlassen. Die Fluchtversuche seien ein Zeichen dieser Krankheit gewesen. Die Behandlung sei wegen der „Wahnvorstellungen“ notwendig gewesen. Stein sei damals nicht in der Lage gewesen, einen „rechtsgeschäftigen Willen“ zu äußern. Daß das Oberlandesgericht jetzt einen neuen Gutachter bestellt hat, ist für Vera Stein eine beängstigende Vorstellung. „Eine Krähe hakt der anderen kein Auge aus.“

kes

Vera Stein hat über ihre Erfahrungen ein Buch („Abwesenheitswelten“, Fischer-Verlag) geschrieben.

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