piwik no script img

Kapital flieht! Haltet es!

■ Energiefirmen und Versicherungen profitierten bislang von günstigen Steuerregelungen. Das soll die Steuerreform ändern. Die Konzerne drohen mit Abwanderung und Investitionsstopp

„Theaterdonner“, winkte das Bundesfinanzministerium ab. Und die Sprecherin schob nach: „So schnell verschwinden die Großkonzerne nicht. Die sollen sich nur nicht so anstellen.“ Auch bei den finanzpolitischen Sprechern der Regierungsfraktionen rangierte das Thema zunächst „in der Priorität ganz weit hinten“. Finanzminister Oskar Lafontaine gab sich felsenfest: Weder den Stromfirmen noch der Versicherungsbranche werde man nachgaben. Ihr „Wehklagen ist in der Sache nicht begründet“, meinte er, ihre Rechenexempel zur Steuerbelastung seien schlicht falsch.

Niemand im Bonner Regierungsviertel wollte also am Montag so recht an eine „erste Revolution des Kapitals“ glauben, die der Vorstandsvorsitzende eines großen deutschen Unternehmens angesichts der Steuerreform kommen sieht, auch wenn sich am Wochenende nach dem Versicherungsriesen Allianz auch der Stromgigant RWE zumindest verbal von Aktivitäten und Neuinvestitionen in Deutschland verabschiedet hatte.

Auch von einem Gesprächstermin mit den Versicherungskonzernen wollte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye nichts wissen. Laut Auskunft des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) steht jedoch nicht nur der Termin, sondern auch die Besetzung fest: Vertreter der Branche wollen am Mittwoch mit Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine reden – und mit Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sicherheitshalber. Denn mit dem Kanzler, so hoffen die Versicherer, könne es noch eine Wende geben: „Das wäre dann zwar fünf vor zwölf, aber in die zweite Lesung des Gesetzentwurfes am Donnerstag könnte man noch Änderungen einbringen.“ Die Koalition dagegen wollte noch gestern bei der Sitzung des Finanzausschusses den Entwurf zum Steuerentlastungsgesetz „in Sack und Tüten“ tun. Doch: „Eine definitive Klarheit gibt es nicht“, hieß es nachdenklich im Büro der grünen Ausschußvorsitzenden Christine Scheel. Dafür habe es schon zu viele Umentscheidungen bei den bisherigen Regierungsvorhaben gegeben.

Was die Inhalte der Kritik angehe, zeigten sich die Grünen einig mit dem Bundesfinanzministerium und der SPD: 20 Milliarden Mark müssen die Versicherer nach eigenen Angaben künftig mehr an Steuern zahlen, 25 Milliarden die Energiekonzerne: „Das sind zusammen 45 Milliarden Mark – die gesamte Reform hat ein Volumen von 30 Milliarden, da kann doch etwas nicht stimmen.“ Auch der Steuerexperte des DGB, Hans Georg Wehner, hält die Zahlen für „weit überhöht“. „Wenn sich die Belastung tatsächlich in dem genannten Rahmen bewegen würde, müßte man natürlich nachbessern“. Aber das sollten die Verbände erst einmal beweisen.

Die Unternehmen der Energiebranche hätten in den vergangenen Jahren „glänzend verdient“, ergänzte der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Joachim Poß. Nun sollten sie auch „einen angemessenen Finanzierungsbeitrag“ leisten. Mit dem Abbau Zehntausender Arbeitsplätze zu drohen sei hingegen „einfach nur verantwortungslos“. Mehr Verständnis ernteten die Konzerne und Verbände dagegen bei ihrer FDP. „Die Unternehmen drohen nicht damit, hier wegzugehen, weil es ihnen keinen Spaß mehr macht oder weil sie eine Regierung nicht mögen“, sagte der Sprecher für Energie und Wirtschaft, Paul Friedhoff. Vielmehr hätten sich die Wettbewerbschancen „so verschlechtert, daß sie Sorge haben, nicht mehr erfolgreich gegenüber der internationalen Konkurrenz bestehen zu können“.

Die aktuelle Form des Steuerentlastungsgesetzes trägt den Bedenken allerdings schon Rechnung. Gegenüber dem ersten Entwurf hat das Bundesfinanzministerium auch die Besteuerung der für die Versicherer relevanten allgemeinen RÜckstellungen und der Rücklagen der Energiekonzerne für die Atommüllentsorgung überarbeitet. Beate Willms

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen