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„Halten Sie die für reif?“

■ Am Schulzentrum Walliser Straße wurde gestern schon mal die Bremer Bürgerschaft gewählt. Probeweise und als ein Plädoyer für die Senkung des Wahlalters. Während die SPD klar unterging, konnte die CDU zulegen. Die Grünen blieben bei 17 Prozent

Mit 16 Jahren schon wählen, ach, nein – „ein bestimmter Reifegrad“ sei da schon nötig, weiß Bremens Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) und scheint leidvolle Erfahrungen mit den jungen Früchtchen gemacht zu haben: „Meine Tochter hatte im letzten Jahr Abitur – die lesen in dem Alter kaum Tageszeitungen.“ Leises Grummeln ob dieser gewagten Verallgemeinerung erhob sich da unter den 300 Schülern in der Schul-Aula an der Walliser Straße – der smarte Jan Hammer in der hintersten Reihe faßte sie in folgende wohlgesetzte Rede: „Der glaubt wohl, wir sind so blöde wie seine Tochter.“

Lustig also ging es zu am gestrigen Mittwoch mittag am Schulzentrum in Tenever, wo auf Einladung des 98er Jahrgangs der Höheren Handelsschule die Senats-Dame Kahrs (SPD) mit den Herren Za-chau (Grüne) und Borttscheller fürs Schülervolk die Frage eines kommunalen Wahlrechts für 16jährige podiumsdiskutierten. Der CDU-Mann war dagegen, die Rot-Grünen waren dafür – so weit, so gut, den gut präparierten Schülern um den Moderator der Veranstaltung, den Lehrer Wolfram Stein, aber reichte das nicht. Immerhin habe auch der Soziologe Hurrelmann herausgefunden, daß die Jugend überall mehr Entscheidungen übernehmen müsse – warum also nicht auch in der Politik?

Seit einem Jahr läuft in der Schule der Projektunterricht zur parlamentarischen Demokratie. Ein Ergebnis findet sich jetzt im aktuellen Monatsheft des Bremer Statistischen Landesamtes. Zweimal hatten die Unter-Sechzehnjährigen in der Walliser Straße im vergangenen Jahr die Bundestagswahl vorgeprobt und hatten der SPD rund fünfzig Prozent der Stimmen geschenkt.

Gestern, im Vorfeld der Bürgerschaftswahlen, kreisten wieder die Wahlzettel – und bescherten am Ende der Diskussion Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs und ihrer SPD einen argen Stimmverlust: Nur noch 39,2 Prozent der 231 gültigen Stimmzettel sprachen ihr das Vertrauen aus, Borttschellers CDU legte mit gut 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr um immerhin zehn Prozent zu, die Grünen um Helmut Zachau blieben bei gut 17 Prozent.

Verantwortlich für den Einbruch der Roten war dabei sicherlich nicht zuletzt die Wortgewalt des Jungunionisten Christian Konreder, der mit einer Brandrede gegen die Bildungssenatorin für freudiges Fußtrampeln sorgte: 30 Prozent des Englisch-Unterrichts würden in seiner Klasse derzeit ausfallen. „Bei Ihrer katastrophalen Bildungspolitik, Frau Kahrs, wird Sie hier bestimmt keiner wählen“, powerte der junge Politiker und verknüpfte in freier Assoziation Bildung und Rechtsradikalismus: In Mutlangen hätten bei einer Probewahl 30 Prozent der Unter-Sechzehnjährigen kürzlich für die Rechtsradikalen gestimmt. „Halten Sie die etwa für reif?“

Die 17jährige Sandra Richter klatschte höflich und gab ihm recht. Was sie wählen würde: „Keine Ahnung!“ Zachau hingegen klagte: „Politische Beteiligung ist doch kein Urknall!“ und unterstützte als Ex-Schulleiter das pädagogische Projekt der Walliser Straße – immerhin gaben hier 1998 zur Bundestagswahl von den rund 700 wahlberechtigten Schülern 80 Prozent ihren Stimmzettel ab – „für Politik muß man eben sensibilisiert werden“, findet Lehrer Stein – egal ob man 16 Jahre alt ist oder 18.

ritz

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