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Vom S-Bahnhof direkt ins Schlemmerland

■ Gestern wurden die 25.000 Quadratmeter großen Schönhauser Allee Arcaden feierlich eröffnet

Das Band ist durchschnitten, die Kundschaft strömt. Pünktlich um 8 Uhr morgens öffnete gestern das Einkaufszentrum Schönhauser Allee Arcaden. 25.000 Quadratmeter natursteinverkleidete Konsumlandschaft wurden in einem nur 22 Monate währenden „Kraftakt“ aus dem Boden gestampft.

100 Geschäfte auf drei Etagen, vom Geldautomaten bis zum großflächigen Medienmarkt, sollen im ersten Geschäftsjahr rund 200 Millionen Kunden in die Schönhauser Allee, den einstigen „Ku'damm des Ostens“ locken, dessen Flair nach der Wende bröckelte. Als „Retter“ präsentieren sich jetzt die Bayern. Der „Bayernfonds“, eine hundertprozentige Tochter der Bayerischen Landesbank, hat das 250 Millionen Mark teure Einkaufszentrum finanziert. Das soll „den Kiez beleben“ – und will auch selbst belebt werden.

Als vorteilhaft soll sich dabei die Verkehrsanbindung erweisen. Direkt an U- und S-Bahn liegend, „sehen wir auch Pankow und Mitte als primäres Einzugsgebiet“, sagte Roger Weiss, Geschäftsführer der Betreiberfirma mfi, die auch für die für 2001 geplanten Spandau Arcaden verantwortlich zeichnet.

Rund 30.000 Menschen kamen am Eröffnungstag. Vom S-Bahnhof, vorbei an den mittlerweile üblichen schwarzen Sheriffs, gelangt man direkt ins „Schlemmerland“, die geschickt plazierte Delikatessenabteilung im Erdgeschoß.

Freundlich gibt sich dort die erdfarben verkleidete Architektur, freundlich sind auch die sie durchsetzenden echten Grünpflanzen. Einkaufsmusik und künstlerische Lichtspiele sollen das Shoppen unterm Glasdach zum neuen Kieztreffpunkt machen. Freundlich versuchen die Verkäuferinnen zu bleiben, die am Eröffnungstag Fähnchen und Blumentöpfe an die Eröffnungsbesucher verschenken. Die Zigarettenhändler, die sonst im Bahnhofsbereich stehen, ziehen sich bei so viel Trubel in die Seitenstraßen zurück.

Auf einem Festakt am Dienstag begrüßte Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) die Entscheidung der Investoren und forderte mehr Konsumkonzentration in der Innenstadt: „große Einkaufszentren gehören in die Ballungsräume und nicht auf die grüne Wiese“. Diepgen sprach sich auch für großzügigere Ladenöffnungszeiten aus, die auch die Betreiber der neuen „Arcaden“ – in dieser Schreibweise ein geschütztes Markenzeichen – anstreben. Zunächst öffnet man auch in der Schönhauser Allee werktags nur bis 20 Uhr.

Rund 1.000 neue Arbeitsplätze schafft das Zentrum in Prenzlauer Berg, der „Branchenmix“ ist typisch: Discounter, Mode, Medien. Die Ladenflächen sind zu 98 Prozent vermietet, die Büroflächen an der zurückgesetzten Straßenfront nur zu 40 Prozent. Die 100 Mieter sind in einer mit einem eigenen Werbeetat ausgestatteten Gemeinschaft zusammengeschlossen.

Nur wenige Geschäfte aus dem Kiez haben den Sprung ins neue Center geschafft. Der Schreibwarenladen von Jürgen Winter ist einer davon: „In den Seitenstraßen hat man jetzt schon kaum noch Umsatz“, begründet Winter seinen Schritt. Rund um die Glitzerfassade der neuen Arcaden – viele verwaiste Geschäfte, Hinweise auf Umzüge und Geschäftsaufgaben in leeren Auslagen. Es bleibt: die typische Mischung aus Ramsch- und Billigläden.

Ein Schwerpunkt der Arcaden liegt auf Mode und Textilien. Auch Jürgen Wecker hat eine Filiale seiner Bekleidungskette hier eröffnet, denn, so meint er, „die Einkaufsmentalität ändert sich“. Sei es früher noch verpönt gewesen, ins Einkaufszentrum zu gehen, zögen viele Kunden dies nun dem Ku'dammbummel vor.

Erstmalig in Deutschland überspannt ein Einkaufszentrum einen S-Bahnhof – auf einer Länge von immerhin 40 Metern. „Die diesbezüglichen Verhandlungen mit der Bahn seien „schwierig, aber gut“ gewesen, sagte Weiss.

Nun überdacht, getragen von riesigen Stützen, das Einkaufszentrum den S-Bahnhof Schönhauser Allee, doch der „verbindende“ Sichtkontakt zwischen Hoch- und S-Bahn bleibt. Nach außen offene Bauweise, „Internes“ bleibt versteckt: die Belieferung der Läden erfolgt unterirdisch. Christoph Rasch

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