: Frühwarnsystem voller Fehler
Innenbehörde zieht Fragebogen zurück, in dem Polizisten Sozialstatus und sexuelle Orientierung von Bürgern einschätzen sollten ■ Von Elke Spanner
Vorurteile zu bekämpfen, indem man Vorurteile bedient, ist für die Innenbehörde kein Widerspruch, sondern ein „Frühwarnsystem“. Dennoch zog sie nun einen Fragebogen zurück, den Polizisten ausfüllen sollten, wenn sich jemand bei ihnen über die Mißhandlung durch andere Ordnungshüter beschwerte. Darin sollten die Beamten die „äußere Erscheinung“ des Beschwerdeführers beschreiben und einschätzen, ob er einer „ethnischen, sozialen oder sexuellen Minderheit“ angehört.
Die Innenbehörde wollte dadurch ermitteln, ob sich Beschwerden „erkennbar gesellschaftlichen Gruppierungen zuordnen lassen“ und sich an bestimmten Wachen beispielsweise die Vorwürfe von Schwarzafrikanern häufen. Da der Fragebogen jedoch Raum für „Mißinterpretationen“ biete, wie der Senat in der Beantwortung einer kleinen Anfrage des SPD-Abgeordneten Lutz Kretschmann fürchtet, soll er zusammen mit dem Hamburgischen Datenschutzbeauftragten überarbeitet werden.
Zurück geht der Fragebogen auf den „Hamburger Polizeiskandal“ im Jahr 1994. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuß, der dazu einberufen worden war, hatte abschließend gefordert, ein „Frühwarnsystem“ zu etablieren. Das sollte möglichst rechtzeitig strukturelle Probleme innerhalb der Polizei erkennen lassen. Dafür sollten Vorwürfe gegenüber Polizisten nicht nur einzeln ermittelt, sondern auch zentral zusammengefaßt und ausgewertet werden. Anfang 1996 wurde eine „Zentrale Beschwerdestelle“ etabliert, auf deren Schreibtisch alle Vorwürfe gegen Polizisten landen – und seit Anfang dieses Jahres auch die Fragebögen.
Die sollten drei Aussagen zugleich treffen: Ob es zum Beispiel ein Schwuler war, der mißhandelt wurde. Ob der beschuldigte Polizist ihn womöglich mißhandelte, weil er ein Schwuler war. Und ob der Beamte, der die Beschwerde aufnahm, aufgrund der äußeren Erscheinung des Beschwerdeführers meinte, einschätzen zu können, daß er einen Schwulen vor sich hat.
Besonders die Frage nach der sexuellen Orientierung hatte den SPD-Abgeordneten Lutz Kretschmann empört, der mit seiner Senatsanfrage den Stein ins Rollen brachte. Jetzt freut sich Kretschmann, daß sich „Lesben und Schwule wieder unerkannt bei der Polizei über die Polizei beschweren können“. Das können sie jedoch auch bei einer externen Stelle. Ebenfalls als Konsequenz aus dem „Polizeiskandal“ nahm voriges Jahr die unabhängige „Polizeikommission“ ihre Arbeit auf. Die sitzt zwar im Gebäude der Innenbehörde, ist aber mit drei externen MitarbeiterInnen besetzt. Tel: 30 96 89 0
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