Film Script: Unheilvoll hohe Hacken
■ Christine Noll Brinckmann schreibt über Frauenbilder vor der Kamera
Die Vierfachqualifikation der Autorin könnte das Geheimnis dieser Schriftensammlung sein: Christine Noll Brinckmann ist Filmwissenschaftlerin, Feministin, Amerikanistin und Filmemacherin. Zunächst in Frankfurt am Main beheimatet, ging sie nach Zürich, wo sie das Filmwissenschaftliche Seminar der Universität Zürich aufbaute. Und jeder dieser Berufungen geht sie mit einer Leidenschaftlichkeit nach, die sich in ihren bislang nur sehr verstreut erschienenen Aufsätzen auf reizvolle Art synthetisieren.
In den Schriften geht es um das Bild der Sekretärin im filmischen Großraumbüro als „Treibhaus der Phantasien“, das Genre des „Ich-Films“, den Sexappeal kleiner Mädchen, ästhetische Experimente des strukturellen Films oder US-Propaganda in den 30er Jahren. Auch dank der eleganten Edierung durch Mariann Lewinsky und Alexandra Schneider ist das alles zu einem gut lesbaren Beweis dafür geworden, daß Filmwissenschaft nur interdisziplinär funktioniert.
Ein bißchen bewahrheitet sich bei der Lektüre das Bonmot vom „amerikanischen Film“ als Pleonasmus: Immer wieder kommt Brinckmann zurück nach Hollywood, und sei es als Ausgangspunkt von Gegenbewegungen. Etwa in der Analyse von Maya Derens Film „At Land“. Dieser Meilenstein experimenteller Filmkunst wird beschrieben, als ob es sich um einen Spielfilm mit klassischer Narration handelt – nur ausführlicher. Dieser Kunstgriff erschließt mit unpädagogischer Sogwirkung einen radikalen feministischen Ausbruchsversuch aus dem patriachialischen Hollywood.
Neben dem Avantgardefilm widmen sich Brinckmanns Schriften umfangmäßig vor allem dem Film Noir, dem „male melodrama“ als „Gegenstück zum weepie“, dem „weinerlichen Frauenrührstück“. Sie analysiert – wie immer eingebettet in eine erhellende, filmhistorische Positionierung –, warum eigentlich nur Männer Noir-Helden sein können. Ex negativo dienen die Heldin Pat (Claire Trevor) und ihre unglückliche Liebe zu Joe (Dennis O'Keefe) in „Raw Deal“ (USA, 1948) zur Illustration der These. Minutiös wird beschrieben, wie jede ihrer Bemühungen, femininer zu werden, zum Scheitern verurteilt ist. Und warum diese Versuche sogar „tragische Fehler sind, die ins Unheil führen“.
Unwillkürlich unterstreicht man auch Sätze, die nicht nur Gültigkeit für den jeweiligen Film zu haben scheinen: „... während für Männer die Erzählung eigener Niederlagen als Sonderfall dargestellt wird, gelten weibliche Bekenntnisse als normal; das Gejammer über das eigene Los ist eine angeblich weibliche Verhaltensweise.“ Filme, insbesondere die aus Hollywood, haben nun mal eine nachhaltige Wirkung auf das wirkliche Leben, und man kann gar nicht genau genug darauf achten, wer wann in hochhackigen Schuhen stolpert, wessen Gesicht im Autoscheinwerfer aufleuchtet und wer am Ende stirbt.
Der vielleicht wichtigste Text des Buches beginnt mit einem heiklen Unterfangen: Brinckmann nimmt ihren eigenen Film „Die Urszene“ (1981) zum Ausgangspunkt, über die Ähnlichkeiten dieser von Freud beschriebenen, familiären Unfallsituation und dem Kinobesuch zu reflektieren. Diese Gratwanderung konnte deswegen gelingen, weil sie auch ihren Film als einen Beitrag zur Filmtheorie versteht – und nebenbei auch als einen „kurzen Überblick über die stilistische Vielfalt der Schlafzimmer im Frankfurter Raum“!
Es liegt in der medialen Natur, daß der Text schweigt, wo der Film zeigt – und andersherum. Was dem Leser beschert wird, ist eine endlich mal zufriedenstellende Erklärung des Sachverhalts, warum so viele Menschen gerne ins Kino gehen. Dorothee Wenner
Christine Noll Brinckmann: „Die anthropomorphe Kamera und andere Schriften zur filmischen Narration“. Chronos Verlag, 304 S., 64 Mark
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