Kabeltragen kann ein Einstieg sein

Das Sofortprogramm der Bundesregierung für junge Arbeitslose hilft vor allem jenen Jugendlichen, die noch nicht ausgestiegen sind aus der Jobsuche. Manche haben sich mit der Sozialhilfe eingerichtet  ■ Aus Berlin Barbara Dribbusch

Sauer hat sich arrangiert. Mit der Sozialhilfe, dem Arbeitszwang und der Zukunftsangst. Seine Miete übernimmt das Amt. 660 Mark im Monat hat er zum Leben, dafür muß der 22jährige mit dem Irokesenschnitt drei bis vier Stunden täglich malern, in „gemeinnütziger Arbeit“. „Geht doch“, meint Sauer, heute ganz in Schwarz, und grinst freundlich. Hier, im Kiezladen des Bezirks Prenzlauer Berg, bekommt er ein kostenloses Frühstück. Die Suppenküche ein paar Straßen weiter serviert gratis ein Mittagessen. Und er hat Kumpels im Kiez: Sauer ist nicht allein.

Ronny hatte sich nicht eingerichtet. Nicht mit dem Sozialamt und nicht in der gemeinnützigen Arbeit. Dort merkte der Realschulabsolvent, daß er nicht so werden wollte wie die anderen Stützeempfänger, die mit ihm den Schulgarten harken mußten. „Da triffst Du Leute, die sind richtig blöde im Kopf“, erzählt der 19jährige, „viele saufen nur noch“. Ronny landete in einer neuen überbetrieblichen Berufsausbildung zur „Fachkraft für Veranstaltungstechnik“ beim Bildungsträger Vulkan gGmbH. „Macht irren Spaß“, strahlt er unter seiner Baseballkappe. „Hochmotiviert!“ würde mancher Kursleiter in seine Akte kritzeln. Für Ronny ist die Stelle aus dem rot-grünen Sofortprogramm ein Glücksfall.

Die Arbeitsämter vergeben in diesem Jahr zwei Milliarden Mark zusätzlich an Bildungsträger, Lehrwerkstätten, ABM-Projekte und Unternehmen, um Jugendliche und Arbeitslose bis zum Alter von 25 Jahren in die Erwerbswelt zu hieven. Fortbildungen, ABM mit Qualifikation für junge Erwachsene, Lohnzuschüsse und vor allem die überbetrieblichen Berufsausbildungsgänge gehören zum Sofortprogramm „Jump: 100.000 Jobs für Junge“.

Mit Maßnahmen haben manche nichts am Hut

Doch Geldregen macht noch keinen Frühling. In Berlin rangeln die Bildungsprojekte um junge Teilnehmer für ihre Kurse. „Fortbildungs- und Trainingsmaßnahmen und manche ABM sind auf die Schnelle nicht so leicht zu füllen“, sagt ein Arbeitsvermittler. Nicht alle, die arbeitslos registriert sind, wollen in eine Maßnahme wechseln. Viele warten auf eine Chance in ihrem Traumberuf. Manche melden sich nur arbeitslos, damit die Eltern Kindergeld bekommen. Einige haben mit Maßnahmen nichts mehr am Hut.

„Grob gesprochen gibt es zwei Lager. Da sind die einen, die Mehrheit, die auf jeden Fall was finden und mitkommen will, so Sozialpädagogin Franziska Rufflet von der Vulkan gGMBH, „aber es gibt auch eine Minderheit, die sich schon mit der Sozialhilfe und irgendwelchen Nebenjobs arrangiert hat.“ Diese Minderheit könnte man auch in eine Vollzeitmaßnahme zwingen. Aber das ist teurer als die Sozialhilfe, und der Erfolg solcher Zwangsmaßnahmen ist umstritten.

Sauer zum Beispiel hat einen erweiterten Hauptschulabschluß und zwei sogenannte berufsvorbereitende Jahre schon hinter sich. Viel haben die ihm nicht gebracht, „zur Berufsschule bin ich nicht hingegangen“. Auch die Praxis in der Werkstatt, Mauer aufbauen, wieder einreißen, ließ bei dem Punk mit dem forschen Auftreten keine rechte Arbeitsfreude aufkommen. Eine Lehre hätte ihm schon Spaß gemacht, „Bootsbauer vielleicht“. Doch in Berlin gibt es nicht allzu viele Bootsbauer.

Jetzt, nach Jahren der Arbeitslosigkeit, macht Sauer eine neue Rechnung auf: „Wenn ich jetzt so 'ne Ausbildung anfangen würde, bekäme ich weniger als die Sozialhilfe.“ Sauer hat gelernt, nur in der Gegenwart zu leben. Wer dagegen in einem überbetrieblichen Ausbildungsgang für die Zukunft vorsorgt, erhält im ersten Jahr nur rund 500 Mark im Monat. Auch mit einer Berufsausbildungsbeihilfe bleibt oft am Ende weniger übrig als Sozialhilfe. Das Geld ist kein Ansporn. Auch für Ronny nicht.

Doch der blasse Teenager mit den wachen Augen hat erstens ein Händchen für Technik, zweitens einen Realschulabschluß und drittens keine Jahre lähmenden Nichtstuns hinter sich. Ronnys Stiefvater ist Kameramann, auch deshalb interessierte er sich für Film und Medien. Als Ronny nach Schule und gescheiterten Bewerbungsversuchen in die Stütze rutschte, verhalf ihm ein unkonventioneller Arbeitsvermittler von Maatwerk zu einem Praktikum. Ronny schleppte Kabel. Das war ein Einstieg.

Andere wollen einen anerkannten Abschluß

Beim Vulkan-Bildungsträger lernt Ronny jetzt, wie man ein Konzert organisiert und abrechnet oder wie man für das richtige Licht und den Ton sorgt. Die Hälfte der Ausbildungszeit wird er bei Theater-, Konzert- oder anderen Veranstaltern als Praktikant ackern. Danach hat er einen Berufsabschluß. „Dann bekomme ich hoffentlich als Freiberufler Aufträge.“ Einen sicheren Job erwartet er nicht.

Ronny freut sich auf seine künftige Arbeit. Sauer sieht anderen Freuden entgegen. Seine 16jährige Freundin Eileen erwartet ein Baby. Eileen ist von zu Hause abgehauen und hat vor einem Jahr die Hauptschule geschmissen. Jetzt will sie den Abschluß nachholen. Dann muß auch Sauer ran. Ihr Vater hat Sauer schon einen Tip gegeben: Staplerfahrer! Sauer schaut lieber nicht nach vorn: „Zukunft? Was weiß ich, was morgen ist. Vielleicht werde ich vom Laster überfahren!“