: Die ÖTV-Basis hält gar nichts vom Ausstieg
■ Gewerkschaftschef Herbert Mai will bei den Energiegesprächen mit am Tisch sitzen. 35.000 ÖTVler aber demonstrierten gegen den Konsens zum Ausstieg: „Umwelt schützen, Kernenergie nützen“
Ausgebuht und ausgepfiffen. Wirtschaftsminister Werner Müller war gestern nicht zu beneiden. Kurz nach den Energiegesprächen bei Kanzler Schröder hatte er den Schwarzen Peter gezogen und mußte vor über 35.000 Kraftwerksbeschäftigten den geplanten Ausstieg aus der Kernenergie verteidigen.
Die Masse ließ im keine Chance. Ein minutenlanges Pfeifkonzert machte den SPD-Mann mundtot.
Von Energiekonsens wollten die Demonstranten in Bonn nichts wissen. „Umwelt schützen, Kernkraft nützen“, „Wer entzieht Trittin den Führerschein“ oder „Wir stehen zu unseren Arbeitsplätzen: Kernenergie“ – das stand auf den Plakaten der Arbeitnehmer. Keine Spur von Wendestimmung zugunsten umweltfreundlicher Energien.
Wer für den Ausstieg aus der Atomkraft ist, hielt sich lieber bedeckt. Selbst ÖTV-Chef Herbert Mai strich brisante Sätze aus seinem Redemanuskript. Er hatte sich auf eine Rede nach dem Motto: Ausstieg ja, aber nach unseren Bedingungen, vorbereitet. Damit konnte er gestern keinen Blumentopf gewinnen. Also schrieb er um, und statt „die Regierung definiert mit der Energiewende eine politische Konzeption, die von den Gewerkschaften unterstützt wird“, sagte Mai nur, einen Energiekonsens könne es nicht ohne die Gewerkschaften geben.
Einen neuen Lieblingsfeind haben die Gewerkschafter von der Basis auch schon: Jürgen Trittin. Der sei für die ganze Misere verantwortlich. Eine Gefahr für den Standort Deutschland. Auf vielen Plakaten stieb aus den Kühltürmen der Atommeiler kein weißer Dampf, sondern der grüne Umweltminister. Vor einem Jahr noch demonstrierten an selber Stelle Zehntausende für mehr Arbeitsplätze. Damals riefen alle: „Kohl muß weg!“ Daß Trittin weg müsse, hat gestern keiner gerufen. Aber die Forderung hing in der Luft, wie der Geruch von gegrilltem Fleisch, an dem sich hungrige Demonstranten labten.
Mit den Forderungen der ÖTV konnten sie alle nichts anfangen. Herbert Mai will mit am Konsens- Tisch beim Kanzler sitzen, dort erst über den Einstieg in die Energiewende diskutieren und dann erst über einen Ausstieg. Langfristig könne dann eine für alle Seiten befriedigende Lösung gefunden werden, so Mai in einer Pressekonferenz kurz vor der Demo. Wichtig sei ihm, für die betroffenen Atomstandorte neue Wege zu finden. Dort könnten bis zum Ende der noch festzulegenden Laufzeiten neue Kohle- oder Gaskraftwerke entstehen. Im Magen liegt Mai auch das von der Kohlregierung beschlossene Energiewirtschaftsgesetz. Das behindere den Wettbewerb und müsse von Rot-Grün abgeschafft werden.
Mit solch detaillierten Forderungen kam er bei seinen Gewerkschaftsfreunden von der Basis nicht an. „Wir sind nicht in jedem Punkt mit der Gewerkschaftsführung einverstanden“, sagte zum Beispiel der 55jährige Uwe Krieger der taz. Krieger ist seit sechs Jahren Betriebsrat im schleswig- holsteinischen AKW Brunsbüttel. Ein Leben ohne Atomenergie? „Kann ich mir nicht vorstellen. Die Kernergie ist eine saubere Energieart. Die Kernkraftwerke in Deutschland sind für 40 Vollastjahre konzipiert. So lange müßten sie laufen, um ihn Zukunft auf dem liberalisierten Strommarkt wettbewerbsfähig zu bleiben und die Arbeitsplätze zu erhalten.“
Ausstieg bedeutet Arbeitsplatzverlust, kein Ausstieg Arbeitsplatzsicherung – so einfach ist die Rechnung der Basis. Thorsten Denkler, Bonn
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