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Sex mit dem Eßbesteck

■ Die Vorschau: Heike Reich, eine junge Autorin mit sympathischem Faible für das Absonderliche, kommt heute abend zur Lese-Performance ins Kulturzentrum Lagerhaus

Heißen tut das Buch, um das es hier gehen soll, „Der grüne Orgasmus“. Doch die Buchdeckelinnenseiten (alias Schmutztitel) sind nicht grün, sondern schwarz, nachthimmelschwarz, ach was, abgestandenesgetriebeölschwarz. Schwarz sind auch die Seelen jener Männer und Frauen, die in die ein- bis zwanzigseitigen Erzählungen von Heike Reich eingeschlossen sind.

Heike Reich: Dieser Name erweckt bei empfindsamen Wesen übelste Assoziationen an einen anderen Namen, Elke Heidenreich. Mit ihrer überflüssigen Wie-das-wirkliche-Leben-Alltagsnähe hat die Autorin aber Gott (oder wohl eher dem Teufel) zum Lobe glücklicherweise nicht das Geringste zu tun. Mit Glück dafür schon mehr. Dies seltene Gut suchen nämlich Reichs Helden in Spleens von bemerkenswerter Absonderlichkeit. Statt auf Lackschuhe steht einer der Herren auf Eiseskälte. Nur in einem leergeräumten Kühlhaus, nur mit kälteverkrampftem Gedärm will ihm der perfekte Orgasmus gelingen.

In einer anderen Geschichte verfällt eine ganze Stadt dem Gelüst, sich gegenseitig mit Gabeln in den Mundhöhlen herumzustochern. Reichs Ehrgeiz ist es, dem gespannten Leser die Einfühlung in solche nicht gerade leicht nachvollziehbare Sexualpraktiken durch Satzrhythmik zu ermöglichen. Im Augenblick der Ekstase rückt die Autorin ihren Figuren hautnah und läßt ihren inneren Monolog so hemmungslos fließen, als sei's der Urin einer kurz vor dem Platzen stehenden Blase.

Nicht selten sind es kleinbürgerliche Wünsche, die für das Abdriften aus der Normalität verantwortlich sind. Eine Frau will nichts lieber als geliebt werden von ihrem Mann und schreitet deshalb zu einer seltsamen Form der Selbstverstümmelung. Sie rammt sich Kugeln und Kerzen in den Leib, um zu einem Weihnachtsbaum zu mutieren. Manchmal sind es aber auch Verletzungen, die die Fantasie der Menschen durchdrehen lassen. Eine Frau, die einst durch den Vater vergewaltigt wurde, entwickelt seltsame Formen der Paranoia gegenüber Bügeleisen und Plattenspielern. Natürlich kann man das lesen als psychologisch-soziologische Studie über unsere verkorkste Gesellschaft.

Sehr viel schöner ist es aber, an den ungewöhnlichen Seelenvorgängen mit interesselosem Wohlgefallen – ganz wie es Kant und Schiller einst forderten – teilzunehmen. Und potzblitz: Wenn die Leserin nach solcher Lektüre Nahrung zu sich nimmt, dann spürt sie garantiert das zarte Kitzeln der Gabel im Rachen, und ein wohliger Schauer durchläuft sie. bk

Heike Reich liest heute abend (11. März) im Lagerhaus. Anschließend gibt es Slampoetry mit Meister Propper. Reichs Roman „Der grüne Orgasmus“ ist im Killroy media Verlag erschienen und kostet 25 Mark.

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