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Ähnlichkeiten ausgeschlossen

■ Die grüne Fraktionschefin Renate Künast will, daß sich die Partei trotz des Rückzugs von Lafontaine nicht von ihrem Kurs in Richtung Rot-Grün abbringen läßt. Grünes Berliner Profil muß gestärkt werden

taz: Glauben Sie noch an Rot- Grün in Berlin nach den neuesten Entwicklungen?

Renate Künast: Ich glaube daran. Vor allem aber will ich es. Ich lasse mich nicht durch einen Rücktritt in Bonn davon abbringen, hier eine Ablösung der Großen Koalition zu wollen. Die Berlinerinnen und Berliner haben unabhängig von den Bonner Aufführungen das Bedürfnis nach Ablösung dieser Koalition des Stillstands.

Nach der für die Bündnisgrünen wenig erfreulichen Hessen-Wahl und angesichts dieser Zerrissenheit, mit der sich die SPD gerade präsentiert, könnte der Wille vielleicht nicht reichen.

Sicher stärken uns diese Ereignisse nicht gerade. Andererseits bin ich zuversichtlich, daß aufgrund der Kritiken zu 100 Tagen Rot-Grün, aufgrund des Echos, das man jetzt erfährt, alle Beteiligten dort wissen, daß man sich jetzt zusammenreißen muß und Politik für die Leute machen. Für uns Bündnisgrüne geht es jetzt nur darum, die Inhalte, die wir im Programm haben – wenn es um Arbeitsmarktpolitik geht, Jugendarbeit, Wirtschaftspolitik – nach vorne zu ziehen. Ausstiegsszenarien sind nicht alles. Wir müssen auch Antworten auf Fragen geben, die wirklich gestellt werden.

Mit Oskar Lafontaine hat sich einer zurückgezogen, der die Linke in der SPD gestärkt hat. Wird es mit der SPD auch in Berlin schwieriger, soziale und ökologische Konzepte durchzusetzen?

Oskar Lafontaine hat sich auf der Bundesebene ja auch nicht durchgesetzt. Der Industriekurs hat am Ende gesiegt. Es wird jetzt bestimmt nicht einfacher, und um so stärker müssen wir uns präsentieren.

Doch stehen jetzt nicht die Berliner Bündnisgrünen – abgeschreckt vom Bonner Vorbild – in der Gefahr, hier Harmonie mit der SPD um jeden Preis zu suchen?

Nein, denn ich glaube, wir haben unsere Lektion bereits zu rot- grünen Berliner Zeiten gelernt. Wir wissen, daß man Politik nicht macht, indem man mit Einzelentscheidungen per Ordre de Mufti losrennt, mit der Tür gleich ins Haus fällt. Politik muß vorbereitet werden: Auch wenn man regiert muß man immer wieder um gesellschaftliche Mehrheiten kämpfen. Das haben wir spätestens seit den Tempo-100-Schildern auf der Avus gelernt, daß so etwas auch vermittelt werden muß. Ein aktuelles Beispiel für unseren anderen Stil ist die Ausländerpolitik: Wir stehen für ein Konzept der Integration in Schulen, im Beruf und im Alltag. Nur ein Beispiel: Schulen sollen Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache und deren Eltern verstärkt Deutschunterricht anbieten. Das Angebot der doppelten Staatsbürgerschaft ist ein Teil dieses Konzeptes. Das ist etwas anderes als das, was in Bonn jetzt passiert ist: mit der Tür ins Haus und gleich in den Keller eingebrochen.

Aber reicht diese Stilfrage aus, um das Vertrauen in die Grünen wieder zu stärken?

Nein, wir müssen auch deutlich machen: Auch wenn wir Grüne heißen und Rot-Grün wollen, so wie in Bonn wollen wir es nicht. Wir könnten ja jetzt den Vorspann in unserem Wahlprogramm wie im Abspann eines Krimis ändern: Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen oder sonstigen Ereignissen ist rein zufällig und nicht gewollt. Interview: Barbara Junge

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