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Bahn frei für den dritten Weg. Aber wohin?

■ Warum Lafontaines Abgang von Ferne an Willy Brandts Abschiede erinnert. Mit dem Rücktritt des Finanzministers sind die Probleme der sozialdemokratischen Partei noch lange nicht gelöst. Und was bl

Der Machtkampf ist entschieden. Daß es so kommen mußte, war von Anfang an abzusehen. Nur wann, wie und wo: Das blieb offen. Früh, präzise und gelassen, als die Morning-after-Gefühle eben der Ernüchterung zu weichen begannen, war mitten im Kanzleramt vom „High-noon“ die Rede, dem finalen Duell zwischen Schröder und Lafontaine. Zu einfach, zu klar, zu bedrohlich erschien dort die politische Lage. Man kann, so ging das Argument, ein Land wie Deutschland nicht gleichzeitig in zwei gegensätzliche Richtungen regieren. Es war ja nicht allein Lafontaines solitärer Spätkeynesianismus, der dem Kanzler auf die Nerven ging, sondern vor allem die Art, wie er sie augenzwinkernd in die SPD hinein präsentierte: als Alternative zu institutionellen Reformen jeder Art – erst im Bündnis für Arbeit und dann auf dem Arbeitsmarkt. Zinsen runter, Nachfrage rauf, und sonst alles wie gehabt: So las man es im Kanzleramt. Damit hatte das Scheitern einen Namen: Lafontaine.

Den gibt es jetzt politisch nicht mehr. Nun ist die Bahn frei für den dritten Weg. Doch niemand weiß, was das ist und wohin er führen wird. Wenn sich der Rauch dieser Tage erst einmal verzogen hat, wird deutlich werden: Der Kanzler selbst und seine Partei sind ein Teil des Problems, (noch?) nicht seine Lösung. Schröder gewann die Wahl ohne Politik. Ohne politisches Profil hat er seither regiert. Beides aber braucht er, um Erfolg, um seinen Erfolg (Zahl der Arbeitslosen) zu haben. Die Wahl des Kanzlers zum Vorsitzenden, seine Landnahme der SPD beantwortet nur eine methodische Frage: Wie würde es möglich sein, die SPD zu erneuern, bei laufenden Motoren, auf vollen Touren, ohne jede Debatte? Schröder-Partei, so kennt man nun die Antwort. Aber wohin werden sie aufbrechen, die Neosozialdemokraten? Die SPD ist nach wie vor eine strukturkonservative Partei. Von Schröder weiß man vor allem, daß er die Wirtschaft nicht ärgern will, immer wieder „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ deklamiert und auf die Politik einer eindimensionalen Industriemoderne setzt. Daß er eben erst Lafontaine, Trittin und Frau Bergmann abgekanzelt hat, zeigt ja nur, wie flächendeckend phantasielos dieser Kanzler ist, wie wenig er die Umbrüche der Zeit wirklich verstanden hat.

Mit Lafontaine verabschiedet sich nicht nur die alte SPD, sondern einstweilen auch die Hoffnung auf eine Politik, die mehr ist als die Verwaltung von Sachzwängen. Die Sympathien, die ihm nun nicht nur von seinen „Parteifreunden“ entgegengebracht werden (und die ganz von ferne an die Abschiede des Willy Brandt erinnern), sie haben ganz sicher auch damit zu tun: Da hat einer, autoritär oft, doch selten ohne Ironie, die Menschen fast körperlich-sinnlich spüren lassen, daß Politik noch einen Sinn und auch einen Unterschied macht, als Arena der Leidenschaften, nicht nur als Marktplatz der Interessen. Der Soziologe Luhmann hat die Politik aus der Theorie vertrieben. Schröder aus der Praxis? Jedenfalls wird er den dritten Weg nun als Ergebnis politisch-geistiger Anstrengungen präsentieren müssen, nicht nur als Fototermin mit Anthony Giddens in einer Landesvertretung in Bonn. Blair und Clinton hatten eine Idee. Was will Schröder?

Wohin also geht die Reise? Die Sprachlosigkeit der Bündnisgrünen hat gute Gründe: Sie haben mit Lafontaine ihren Anker in der SPD verloren. Jetzt sind sie alleine übrig geblieben als jener Brocken, der noch auf des Kanzlers rechtem Wege liegt. Der Zweck heiligt auch für die SPD viele Mittel. Aber sie wird die Operation am offenen Herzen der Partei – und nichts anderes sind ja die politischen Bypässe, die jetzt personell und programmatisch gelegt werden – nicht über sich ergehen lassen, nur um danach zu erleben, daß die Grünen ihr den Rest geben. Eine SPD, die Schröder als Vorsitzenden erträgt, hat mit der FDP keine Probleme, von des Kanzlers Vorlieben ganz zu schweigen. Die Grünen machen, in dieser Koalition und außerhalb, nur noch Sinn, wenn sie die Schwächen der SPD nicht verstärken, sondern korrigieren, als Motor der gesellschaftlichen Erneuerung, als Anwälte einer konsequenten, aber sozialverträglichen Deregulierung. So wie sie sind, werden sie das nicht schaffen. Sie brauchen mehr als eine Strukturreform. Einen politischen Eigensinn machen sie künftig wohl nur, wenn sie sich, horribile dictu, als ökolibertäre Partei neu erfinden. Das haben einige in ihren Reihen schon Anfang der 80er gesagt. Immer mehr, die erfolgreichsten unter ihnen, haben es seither gedacht und geschwiegen, weil es opportun war. Andere bekämpfen genau dies, weil ihnen eine glaubensstarke Sekte lieber ist als eine ökolibertäre Bürgerpartei. Auf dem Parteitag konnten sie eben noch eine Debatte darüber, wer, was und wie sie sein wollen, einfach abwürgen. Das wird nicht mehr länger gehen. Manchmal ist eine lebensgefährliche Operation, ein clean cut, die einzige Chance der Rettung. Vielleicht müssen sie erst, nach einer Niederlage bei den Europawahlen, so richtig in den Abgrund blicken, damit diese Einsicht mehrheitsfähig wird.

Das Vorspiel auf dem Theater ist nun vorbei. Alle müssen sich an neue Rollen gewöhnen. Lafontaines Rücktritt hat die politische Landschaft verändert. Die SPD wird sich in der alten Mitte bräsig breit machen. Die Aktien an der Börse werden erst einmal steigen, die Aktien der CDU/CSU mittelfristig sinken. Die FDP steht vor den Toren der SPD; und für die Grünen beginnt mit dem Ziel (endlich an der Regierung) der Start für eine neue, die entscheidende Runde. Warnfried Dettling

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