: „Rot-Grün wird schwierig, das wird ganz knapp“
■ FU-Politologe Hajo Funke (54) glaubt, daß Grabenkämpfe in der SPD vermieden werden, und warnt vor Ausgrenzung der PDS
taz: Wie schätzen Sie die Chancen der Berliner SPD für die Abgeordnetenhauswahl im Oktober ein, nach dem Erfolg der CDU in Hessen und dem Rücktritt von Oskar Lafontaine?
Hajo Funke: Das hängt davon ab, ob die SPD ein einigermaßen konsistentes, auf die Lage der Stadt bezogenes und soziales Programm hinkriegt und das glaubwürdig repräsentiert. Der Spitzenkandidat Walter Momper ist dabei nicht der Schlechteste, auch weil er die jetzige Krise offensiv angeht.
Oskar Lafontaine begründete gestern seinen Rücktritt mit „Defiziten im Mannschaftsspiel“. Wie ist es um die Berliner Mannschaft der SPD bestellt?
Klaus Böger sagt man nach, daß er sich auf andere beziehen kann und kommunikativ ist. Bei Walter Momper sehe ich einen hohen Grad an Flexibilität. Man sieht an den Grünen, daß sie Vertrauen in die Kommunikation und das Entscheidungsverhalten von Momper gehabt haben und deshalb auch durchaus zufrieden waren, daß er erneut antritt.
Also befürchten Sie in Berlin keine Grabenkämpfe wie zwischen Schröder und Lafontaine?
Ich glaube, daß sie vermieden werden, weil die Verantwortung anders zugeschnitten ist. Böger und Momper sind verantwortlicher, als es die beiden Spitzen der SPD gegenüber der eigenen Partei waren, aber auch gegenüber der Politik, die sie vertreten.
In Bonn ist ständig die Rede von der neuen Mitte. Gibt es diese neue Mitte überhaupt in Berlin?
Wenn ich das wüßte! Das größte Problem in Berlin ist es, ein Stadtkonzept zu formulieren, das auch die soziale Schlagseite systematisch bearbeitet.
Sehen Sie da Ansätze?
Es wurde noch kein konsistentes Konzept vorgelegt. Das wird ein wachsendes Problem, auch weil es wachsende Ränder gibt, die sich in rassistischer Wut nach ganz rechts davonmachen. Es gibt in der Wahlkampfgruppe eine Reihe von Personen, die sich dieses Themas annehmen. Dennoch ist es unglaublich schwierig für eine Stadt, die wirtschaftlich abbaut und polarisiert, das zu bewältigen. Das ist ein ganz großes politisches Drama. Ich wundere mich, daß es nicht zu größeren wahlpolitischen Aufschlägen geführt hat.
Befürchten Sie Stimmenverluste der SPD an Grüne und PDS?
Ich glaube, daß sich das durch die persönliche Präsenz der Wahlkampfspitze in Grenzen halten kann. Klar, der Rückenwind wird begrenzt sein, wenn er sich nicht schon gedreht hat. Rot-Grün wird schwierig, das wird ganz knapp.
Kann die SPD weiter die Zusammenarbeit mit der PDS verweigern?
Die Berliner SPD hat sich so klar entschieden, daß sie davon nicht mehr herunterkommen kann. Ich finde eine sachliche Zusammenarbeit da, wo die Leute kompetent sind, wichtig. Da sollte man großzügig und souverän sein. Ich habe in der Flüchtlingsarbeit ganz großartige Erfahrungen mit SPDlern, PDSlern und Grünen gemacht. Wenn es der PDS gelingt, die soziale Seite einzubringen und nicht abgebürstet zu werden, dann ist das nur im Sinne der Sache. Konkurrenz muß nicht um jeden Preis sein, erst recht nicht Ausgrenzung. Angesichts der Dramatik der sozialen Lage in der Stadt ist das ganz ungut. Interview:
Barbara Bollwahn de Paez Casanova
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen