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■ Lafontaines Rücktritt schafft eine neue KoalitionsarithmetikMehr Schröder – und mehr Fischer

Auf den ersten Blick wirkt es wie lautes Pfeifen im dunklen Wald, wenn das grüne Spitzenpersonal nach dem Rücktritt Oskar Lafontaines fröhlich verkündet, es gebe „keinen Grund, in Lähmung zu verfallen“ (so zum Beispiel Gesundheitsministerin Andrea Fischer), und eilig-emsig „ein positives Signal in Richtung Wirtschaft“ ankündigt (Fraktionschef Rezzo Schlauch). Sah es doch seit der Hessenwahl ziemlich duster aus mit den grünen Projekten in der Koalition. Und jetzt kommt ihnen auch noch der Mann abhanden, der als Garant rot-grüner Perspektiven in der SPD galt und der gestern noch einmal sein politisches Bekenntnis „Das Herz schlägt links“ verkündete.

Doch die Botschaft von Lafontaines Rücktritts läßt sich für die Grünen auch anders lesen als ein Verlust. Mit der SPD-Doppelspitze ist schließlich eine Koalitionsarithmetik gescheitert, die auch grünen Immobilismus und Unentschiedenheit gefördert hat. In den zentralen Fragen von Wirtschaft, Arbeit und Steuern mußte das Koalitionsgefüge nicht zwischen Rot und Grün, sondern zwischen Schröder und Lafontaine immer neu austariert werden – „schlechtes Mannschaftsspiel“ hat Lafontaine das gestern genannt. Die Grünen standen dabei eher am Spielfeldrand – und dienten als Sündenbock. Ihre Ambivalenz, personifiziert in den beiden Doppelspitzen von Partei und Fraktion, war das Gegenstück zum labilen sozialdemokratischen Machtgleichgewicht. Solange Schröder und Lafontaine sich gegenseitig in Schach hielten, sah auch die Mehrheit der Grünen keinen Anlaß, vom alten Modell des Austarierens der beiden Flügel Abschied zu nehmen. Siehe den Parteitag vor einer Woche.

Lafontaines Ausstieg hat das auf einen Schlag verändert. Künftig wird vor allem zwischen den Koalitionsparteien verhandelt. So hart es für die linken Grünen klingt: Sie werden dabei keinen Stich mehr bekommen. Das hat beispielhaft der Mißerfolg ihrer defensiven Strategie, möglichst viel vom Doppelpaß zu retten, gezeigt. Die FDP-Position hat sich scheibchenweise durchgesetzt.

Es klingt paradox, wenn Joschka Fischer jetzt die „Chance für einen Neuanfang“ proklamiert. Aber er hat recht, wenn er die Chance für die Durchsetzung seiner Inhalte meint. Mehr Schröder und weniger Lafontaine in der SPD heißt auch: mehr Fischer und weniger Trittin bei den Grünen. Auch wenn Trittin als Person gerade jetzt zur Integration der Partei gebraucht wird.

Joschka Fischer wird für die Neupositionierung der Grünen nun nicht mehr die Debatte um die Parteistruktur als Hebel benutzen, sondern die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Lafontaines Rücktritt gibt ihm Rückenwind. Denn Kanzler Gerhard Schröder braucht jetzt Zeit für den Versuch, die SPD hinter sich zu bringen, die in ihrer Mehrheit Lafontaine nachtrauert und ihm mißtrauisch gegenübersteht. Das stärkt – auf kurze Sicht zumindest – die Stellung des Koalitionspartners, mit dem der Kanzler in nächster Zeit wohl pfleglicher umgehen wird als in den vergangenen Wochen.

Daß jetzt Schröder ernsthaft erwägt, den ökolibertären Grünen Fritz Kuhn aus Baden-Württemberg zum Staatssekretär im Finanzministerium zu machen, ist daher kein Zufall. Im Gegenzug propagiert Fischer im Spiegel das niederländische „Poldermodell“ des Bündnisses für Arbeit. Er plädiert damit für Deregulierung und meint, der soziale Wandel müsse „einvernehmlich mit den gesellschaftlichen Kräften“ organisiert werden.

Ob die Grünen sich bei ihrer Neupositionierung als Partei überflüssig machen oder aber ihre Rolle für die nächsten Jahre finden werden, ist noch nicht entschieden. Wenn sie jetzt gemeinsam mit Schröder die Steuersätze für Unternehmen weiter senken, als es Lafontaine erlaubte, dann wird sich zeigen, ob sie einfach nur dem Druck der Lobby nachgeben und traditionelle Industriepolitik betreiben – wozu Schröder tendiert. Oder ob sie dafür, konsequent ökolibertär, die Streichung von indirekten Subventionen durchsetzen. Michael Rediske

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