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Die Jugend geht und kommt auf die Insel

Die „Insel der Jugend“ in Treptow erlebt den ersten Generationswechsel nach 1990. Auch Ansprüche der Jugendlichen haben sich geändert. Freizeitgestaltung wird ihnen überall geboten. Engagement ist so nur schwer zu finden  ■ Von Axel Schröder

Das Angebot der Insel der Jugend in Treptow ist einzigartig. Mit seinem knappen Etat stellt der Jugendklub Konzerte, Techno- und Gruftinächte auf die Beine. Sonntags ist Familientag, an dem Mama und Papa bei einem Milchkaffee ihrem Nachwuchs beim Werkeln in der Spielecke zuschauen können. Das DJ-Training bietet Jugendlichen die Möglichkeit, sich an den Plattentellern auszuprobieren, und in den Proberäumen kann sich der Bandnachwuchs austoben. Für die Jüngsten werden Kinderfilme gezeigt, und Lehrer entführen ihre Schüler aus dem grauen Schulalltag, um ihnen hier mit „Schindlers Liste“ Geschichte begreifbar zu machen.

Undenkbar wäre die Vielfalt des Angebots ohne das Engagement der Menschen, die sich um den Betrieb des Ladens bemühen. Doch die Jugendlichen, die die Insel mit ihren Ideen und Energien nach dem Mauerfall nach vorn getrieben haben, sind älter geworden. Jetzt steht ein Generationswechsel an. Und der fällt schwer. Vor allem denen, die jahrelang dabei waren, denen die Insel zweites Zuhause und Familie war. Besonders schwer getan mit seinem Abschied hat sich Eberhard („Ebi“) Fischel. Seit 1986 war er dabei, und auch nach seinem Wechsel zur Bezirksverwaltung ist er noch der „Übervater“ der Insel-Crew.

Zu DDR-Zeiten saß Fischel im „Berliner Haus für Kulturarbeit“ und hatte die „absurde Aufgabe“ (Fischel), die Ost-DJs nach den verordneten Richtlinien der „gestalteten Diskothek“ zu beurteilen. Nach dieser Einstufung bekamen „Schallplatten-Unterhalter“ (SPU), wie sie im DDR-Bürokraten-Deutsch hießen, die Lizenz zum Plattenauflegen. Ebi Fischel mußte sie einstufen in Unter-, Mittel- und Sonderklasse, was auch gleich die Bezahlung regelte.

Als die Betreiber des Jugendklubs 1984 von einem alten Kahn in das kleine Schlößchen auf der Insel umsiedeln durften (siehe Kasten), begann Fischel auch selbst voller Begeisterung eine Karriere als SPU. Er vergaß die Grundsätze seiner Arbeit und legte – ohne Einstufung und ohne „Pappe“ – Platten im „Pablo Neruda“ auf. Ein kurzes Gastspiel nur, denn schon 1986 wurde die Insel wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Bis zum nächsten runden Geburtstag im Oktober 1989 mußte die Ostberliner Jugend auf die Neueröffnung warten.

„Und dann kam der Mauerfall. Der Klubbetrieb mußte erst mal warten“, erinnert sich Fischel an das Chaos der Wendezeit. Alles war im Umbruch, auch die Jugendkultur in der DDR. Das Erlebnis des Umbruchs, der Wegfall von alten Gewißheiten und Feindbildern, von Vertrautheit und Geborgenheit, ist vielleicht einer der Schlüssel, um das „Phänomen Insel“ und seine Aura zu erklären. Rückblickend glaubt Ebi Fischel, „daß die Insel Freiräume für die Kids eröffnet hat. Drum herum wurden die Räume enger.“ Auf der Insel versammelte sich die Ostjugend, die nach der Auflösung „ihres“ Staates etwas Neues, Eigenes für sich und andere schaffen wollte.

Die Energie, mit der die Jugendlichen an ihre Projekte gingen, ist für Ebi Fischel schwer erklärbar. Viele arbeiteten umsonst auf der Insel. Der Spaß an der Sache stand im Vordergrund, der Zusammenhalt in der „Familie“ war Lohn genug. Erst mit der Zeit wurde der Betrieb professioneller. Man engagierte bekanntere Bands, talentiertere DJs oder osteuropäische Theatergruppen.

„Wichtiger als die Fianzierung des Ganzen sind die Leute, die den Laden schmeißen“, sagt Fischel noch heute. Dennoch glaubt er, daß „neun Jahre Leitung genug“ sind und daß es auch ohne ihn geht, auch wenn andere das nicht so sehen.

Auch andere haben sich irgendwann von der Insel zurückgezogen und eigene Projekte und Firmen gegründet. So gehörte das Klangkrieg-Projekt um Christoph Winkler und Janet Krenzlin einst zum Aushängeschild der Insel. Nun haben die Klangkrieger die Insel verlassen und sich mit „Jugend hört e.V.“ ein eigenes Dach über dem Kopf gezimmert. Auch eine kleine chaotische Firma, die heute ihre Dienste Firmen anbietet, die ihre Fassaden und Werbeflächen mit Graffitikunst verzieren wollen, besteht zum Großteil aus gealterten Insel-Kids.

Die Insel ist längst nicht mehr der Ost-Klub aus Wendezeiten. Schon Mitte der Neunziger stießen die ersten WestlerInnen zur Insel- Crew. Mittlerweile hat sich das Verhältnis umgekehrt, und die „Leitungsebene“ ist westlich dominiert.

Den Job von Übervater Fischel übernahm die Sozialpädagogin Inke Johannsen. Zwei Jahre arbeitet sie schon auf der Insel. Daß sie aus Reutlingen (Westdeutschland!) an die Spree kam, machte ihr den Einstieg nicht gerade leichter. Das Publikum der Insel- Events ist zwar eine bunte Mischung aus beiden Teilen Berlins, und die Koexistenz verläuft reibungslos. Doch innerhalb des Insel-Teams haben sich Ost und West erst einmal leicht mißtrauisch beäugt. „Das Ost-West-Abchecken ist aber vorbei“, sagt Inke Johannsen rückblickend.

Ihre Aufgabe sieht sie darin, die Insel offenzuhalten für die Jugend von heute. Für die verschiedenen Szenen dieser Generation soll die Insel nach ihren Wünschen „kulturelles Zentrum“ bleiben. Zwar hat sich nach ihren Worten „der Experimentierraum eingeschränkt“, doch an der Konzeption der Insel als „Kreativhaus“ habe sich nichts geändert. „Die Besucherzahlen gehen stetig nach oben“, betont sie. „Aber gleichzeitig steigen die Kosten, und es wird immer schwieriger, den Etat zu halten.“ Unbekannte Bands, die weniger Publikum anziehen, könnten daher nur noch selten die Insel als Forum nutzen.

Ob die Insel als „kulturelles Zentrum“ von der Jugend angenommen wird, hängt nicht nur von der Führungscrew ab: Die Insel ist kein Dienstleistungsunternehmen, das dem Publikum Spiel, Spaß und Spannung in appetitlichen Häppchen präsentieren will. Vielmehr lebt der Betrieb von den Ideen und der Kraft, die von der Umgebung in ihn hineingetragen werden. Auch in den enger werdenden Räumen ist noch Platz zum Experimentieren.

Ob es gelingt, die neue Generation für dieses Experimentieren zu begeistern, hängt auch davon ab, inwieweit die Kids dazu bereit sind, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Die besonderen Bedingungen, unter denen die letzte Generation die Insel geprägt hat, haben sich geändert.

Heute wird der Jugend Berlins an tausend Ecken Freizeit auf dem Silbertablett serviert. Die Lebendigkeit der Insel wird nicht nur ein Indiz dafür sein, wie effektiv die neue Leitung Jugendarbeit leistet, sondern auch dafür, inwieweit die Jugendlichen noch für ein Engagement in eigener Sache zu begeistern sind.

Ebi Fischel wird die Entwicklung der Insel aufmerksam verfolgen. Seit zwei Monaten arbeitet er im Amt für Jugendförderung und koordiniert den Betrieb der Treptower Jugendeinrichtungen. Zu denen gehört die Insel. So ganz trennen kann er sich nicht.

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