Kommentar
: Flucht nach vorn

■ Warum linke Grüne über Schwarz-Grün spekulieren

Die rot-grüne Bundesregierung fährt gerade krachend vor die Wand, zwischen Nato und Jugoslawien droht offener Krieg, Europa steht ohne Kommissare da, aber führende Politiker in Bonn haben andere Sorgen. Sie führen eine virtuelle Diskussion ohne jeglichen Bezug zur politischen Realität. Rot-Grün als Reformprojekt sei tot, erzählt Jürgen Trittin dem Stern und löst damit fröhliches Streiten aus. Der bündnisgrüne Minister hält auch eine Annäherung seiner Partei an die CDU für möglich. Etwas zurückhaltender hat er diese Ansicht in den letzten Tagen auch schon andernorts vertreten, unter anderem in der Bundestagsfraktion. Um das offenbar gewünschte Echo zu erzielen, mußte er aber noch ein bißchen draufsatteln. Das hat er nun getan.

Es gibt derzeit keine Chance für eine schwarz-grüne Bundesregierung – ganz unabhängig davon, ob ein solches Bündnis wünschenswert wäre. Das weiß natürlich auch Trittin. Er verfolgt andere taktische Ziele. Zum einen will er der SPD signalisieren, sie solle sich nicht zu fest darauf verlassen, daß die Grünen jeden politischen Schwenk mitzutragen bereit sind. Gleichzeitig richten sich die Äußerungen des Parteilinken an die Adresse des Realo- Lagers, das bei der leisesten Kritik am Koalitionspartner schon das Ende des Bündnisses und damit auch des historischen Projekts der Grünen heraufdämmern sehe. Vor allem aber hofft Trittin, seine Partei werde leichter ihr eigenes Profil schärfen können, wenn es ihm gelingt, die beiden großen Volksparteien als kaum noch voneinander unterscheidbar darzustellen.

Er geht damit den falschen Weg. Die Grünen können sich nur inhaltlich, nicht deklamatorisch von anderen Parteien abgrenzen. Die Frage, ob eine Annäherung an die CDU möglich ist, steht am Ende und nicht am Anfang des jetzt notwendigen Prozesses der Neuorientierung. Wer nach Lafontaines Rücktritt von der SPD enttäuscht ist, wird nicht allein deshalb die Grünen wählen, weil Trittin die Sozialdemokraten für austauschbar erklärt. Seine Äußerungen lassen allerdings Rückschlüsse darauf zu, wie groß die Sorge in Teilen der grünen Führungsspitze im Blick auf die nächsten Wahlen mittlerweile ist. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Kurzatmige, selbstreferentielle Bündnisspekulationen werden der Partei die mühselige Suche nach dem eigenen Weg nicht ersparen. Bettina Gaus